«Ich frage sozusagen die App. ob jemand zu mir passt», sagt eine muslimische Konvertitin aus Aarau. Foto: Filippo Bacci/Istock

Online-Dating bei Frommen

Facebook, Instagram und Matchmaking-Apps erleichtern die Suche

 

Religiosität kann ein wichtiges Auswahlkriterium bei der Partnersuche sein. Dabei ist es nicht immer einfach, den passenden Menschen zu finden. Facebook, Instagram und Matchmaking-Apps erleichtern die Suche besonders in sehr frommen Kreisen.

Von Mira Menzfeld*

«Ich bin die erste Schule meiner Kinder, du bist der Beschützer der Familie.» – «Ich will eine Frau, die sich schämt, von anderen Männern angeschaut zu werden.» – «Ich möchte nur jemanden zum Mann haben, der sich schämt, sich andere Frauen ausser seiner Ehefrau anzuschauen.» – «Ich möchte, dass meine Frau ihre Rechte und die Rechte ihres Ehepartners kennt, so wie Gott es bestimmt hat»: So oder so ähnlich klingt es, wenn Menschen, die sich als besonders gottesfürchtig verstehen, online nach ihrem Beziehungsglück suchen. Wer im Jahr 2022 die Liebe finden will, beginnt nicht selten bei Facebook, Instagram oder auf Matchmaking-Apps wie parship.ch mit der Suche. Das gilt auch für Menschen, denen die religiöse Überzeugung ihres Partners und ein glaubensgeprägter Alltag wichtig sind. Und das gilt besonders für Personen, die sich mit ihrer Art von sehr alltagsprägender Religiosität in einer Minderheitensituation befinden. 

Zum Beispiel ist für Muslim:innen oder Christ:innen, die ein Ideal strenger Frömmigkeit für ihre Beziehungen im Sinn haben, ein zufälliges Zusammentreffen mit Gleichgesinnten nicht ganz so einfach – und zu einer lockeren Einladung einer attraktiven Bekanntschaft etwa auf ein gemeinsames Essen kommt es oft gar nicht. Denn wenn man glaubt, dass unverheiratete Männer und Frauen sich nicht ohne vorherige Heiratsabsicht einfach ansprechen oder gar zu zweit verabreden sollten, weil das Gott nicht gefalle, bringt das natürlich praktische Kennenlernprobleme mit sich.

Harte Auswahlkriterien für künftige Ehepartner scheinen online besser durchsetzbar

Was also tun? Digitale Heiratsvermittlungen sind ein möglicher Ausweg: Digitale Spezialumgebungen, die zugeschnitten sind auf Leute, die ein besonders frommes Leben mit einem besonders religiösen Partner führen möchten. Religionsbetonte Online-Ehevermittlungen pflegen bisweilen einen ähnlichen Nischenelitarismus wie etwa Parship («Akademiker und Singles mit Niveau») oder Tinder (nur wer normschön erscheint, hat Erfolg) – doch ist hier das Ausschlussmerkmal nicht der Bildungsabschluss oder die Taillenweite, sondern die religiöse Ausrichtung bestimmt, wer mit-daten darf. 

Francine, Angehörige einer transnationalen Freikirche mit einer Dependance im Kanton Zürich, sagt dazu: «In meiner Gemeinde vor Ort hat es nicht so viele Männer in meinem Alter, die zu mir passen könnten. Wenn ich online suche, kann ich besser abklären, ob wir ähnlich denken.» Ihr ist zum Beispiel wichtig, dass ihr künftiger Mann ein wortwörtliches Bibelverständnis mit einem entsprechenden Familienideal mitbringe – und solche Partner fände man eben eher auf halbgeschlossenen Apps oder in Facebook-Gruppen, in denen sich nur Gleichgesinnte träfen. 

Sophia, eine Zürcher Salafitin, sieht die Vorteile von Online-Datingportalen ähnlich wie Francine. Ihr gefällt ausserdem, dass sie in den textlastigen Selbstpräsentationen ihrer bevorzugten Apps ihre Ansprüche präziser formulieren kann: «Ich habe einen Studienabschluss in Pädagogik und habe drei Semester Islamwissenschaft studiert, ich bin also bestens vorbereitet auf meine Rolle als Ehefrau und Mutter. Natürlich erwarte ich im Gegenzug auch einiges. Er muss mehr wissen über den Islam als ich, um mich unterrichten zu können. Und ich will keinen Mann mit vorehelichen sexuellen Erfahrungen. Und er muss mir und den Kindern ein sorgenfreies Leben bieten können. Das ist, was Gott von einem guten Ehemann verlangt. Ich kann darum auch verlangen, dass mein zukünftiger Mann danach lebt.» Im persönlichen Gespräch wolle sie gegenüber einem möglichen Partner in spe nicht unbescheiden wirken, aber trotzdem sicher gehen, dass ein potentieller Ehemann ihren Vorstellungen entspreche: «Da ist es ein guter Weg, die wichtigsten Sachen schriftlich online zu klären, bevor man sich trifft.»

Besonders attraktiv für Konvertierte und in Zeiten von Corona

Online-dating, bei welchem potentielle Partner:innen nach religiösen Subgruppen vorsortiert werden, ist unter anderem für transnationale Religionsgemeinschaften mit endogamen Tendenzen zunehmend wichtig – aber insbesondere ein Konvertit:innenmagnet. Denn Personen, die aus eigenem Entschluss besonders strenggläubig wurden oder sich für eine andere religiöse Selbstzuordnung entschieden haben als ihre Familie und Freunde, können sich oft nicht auf ein Netzwerk aus Bekannten und Familie verlassen, das ähnlich Glaubende einschliesst und innerhalb dessen potentielle Ehepartner einfach kontaktiert werden könnten. «Mir helfen Apps da schon sehr», sagt Danielle aus Aarau, die zum Islam übergetreten ist. «Ich nutze zum Beispiel Muzmatch, da kann ich alles sortieren lassen, ohne mir tausend Profile anzugucken: Ich kann sagen, woher aus der Welt er kommen soll, wie traditionell seine Kleidung sein soll, ob er Bart tragen soll und eben, welche Art von Islam er praktizieren soll. Meine Eltern sind Christen, die können mir keinen passenden Mann vorstellen. Also suche ich eben so nach einem guten Muslim und frage sozusagen die App, ob jemand zu mir passt.»

Samira, Tochter muslimischer Eltern, heute aber eng in eine Freikirche in Winterthur eingebunden, sieht das ähnlich: «Ich sage es nicht so offen, aber ich verlasse mich nicht gerne darauf, wer mir vorgestellt wird.» Erstens würden Menschen, die ihr enge Freunde oder junge Männer aus ihrer Freikirche anpreisen wollten, häufig nur die positiven Seiten des potentiellen Kandidaten betonen, die schlechten aber verschweigen: «Da ist es besser, wenn ich mir eine eigene Meinung bilde.» Andererseits wolle sie aber auch nicht mit x-beliebigen Männern ausgehen, die vielleicht ihren Glauben und ihre Ideen von Ehe und Familie nicht teilten. Und sich selbst in ihrer Gemeinde umzuschauen, kommt für sie gar nicht infrage: «Bei uns selbst suchen … nein, das geht nicht. Ich käme mir schlampig vor. Und eh: Stell dir vor, ich lerne jemanden näher kennen und merke dann, er ist doch nicht der Richtige. Dann ist es hinterher für beide unangenehm, und wir gehen immer mit einem schlechten Gefühl hin [in die Kirche].»

Manchmal kommt bei besonders frommen Frauen dazu, dass sie bei der Partnersuche nicht auf den in einigen Kontexten üblichen Anstandswahrer und Interessenvertreter der weiblichen Anliegen während der Heiratsanbahnung verzichten möchten oder sollen. Eine solche Anstandswahrer-Rolle wird idealerweise von einem männlichen Verwandten übernommen – aber manchmal ist entweder kein männlicher Verwandter zur Hand, der diese Rolle übernehmen könnte, oder aber die infrage kommenden Personen wohnen weit entfernt. Online-Dating über spezielle Apps kann in solchen Fällen vieles vereinfachen. «Muzmatch» etwa erlaubt Musliminnen, dass bei Bedarf ein Aufpasser, Interessenvertreter und Beschützer (ein walī) die schriftlichen Dialoge zweier Heiratswilliger mitliest und so sicherstellt, dass alles im schicklichen Rahmen bleibt. Klassischerweise übernimmt ein naher Verwandter einer Frau diese Rolle; bei Konvertitinnen kann aber auch schon mal der Imam oder eine weitere Person der hinzugebetene Mitleser sein. Unterhaltungen im digitalen Raum ermöglichen, einen walī unkompliziert einzubinden, ohne dass er physisch präsent sein muss und etwa eine Anreise auf sich nehmen muss. Danielle findet das praktisch: «Gerade während der Anfangszeit von Corona hätte mich doch sonst niemand begleiten wollen, und ich hätte gar keine halal-Treffen haben können. Aber online mitlesen und so zu mir schauen, das ging immer.»

Einerseits Zeitgeist, andererseits Neuauflage vordigitaler Themen

Religions- und interessenspezifisches Online-Dating erscheint einerseits als ein Phänomen unserer Zeit. Nicht nur, weil es auf elektronischen Endgeräten stattfindet. Es zeigt ausserdem jene Partikularisierungs- und Fragmentisierungstendenzen, die ebenfalls in anderen digitalen Kontexten auffallen. Menschen – so glauben einige Wissenschaftler:innen – neigen etwa momentan dazu, zunehmend in Echokammern zu kommunizieren; und als Beherbergte in einem geschlossenen Meinungskontext liegt es nahe, auch nur einen Partner aus der eigenen Bubble in Betracht zu ziehen. Mit digitalen Vorfiltermöglichkeiten funktioniert das sehr unkompliziert: Man muss niemanden daten, der anders denkt oder glaubt als man selbst.

Andererseits verhandeln religionsbezogene Dating-Praktiken im digitalen Raum auch Muster, Normen und Phänomene, die weitaus älter sind als jeder Binärcode. Zum Beispiel die Frage, ob man einen Partner aus der eigenen Gruppe oder lieber einen von anderswo heiraten muss oder möchte. Oder das Austarieren, wie früh und wie klar man eigene Traumvorstellungen vom Partner kommunizieren sollte; ob diese Traumvorstellungen mit den Normen der eigenen Gemeinschaft harmonieren; und wann es unabdingbar und wann es unsinnig ist, starr an Ersteren oder Zweiteren festzuhalten – und was überhaupt der potentielle Partner zu alledem meint. Das sind Aspekte, die nicht nur besonders fromme Personen oder ausschliesslich digital natives umtreiben. Sondern alle Menschen, die auf Partnersuche sind und sich überlegen müssen: Was ist mein Beziehungsideal, und wie strikt binde ich meine Liebesmöglichkeiten an dieses Ideal?

*Mira Menzfeld erkundet als Postdoktorandin an der Universität Zürich im Rahmen des UFSP «Digital Religion(s)» aus religionswissenschaftlicher Sicht, welche Bereiche von Religion für Migrant:innen auch digital gut funktionieren – und warum. Ausserdem forscht sie zu kulturspezifischen Sterbenskonzepten und zu Salafis in Europa.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf religion.ch

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