Solothurner Filmtage

Atlas

Überleben ist auch nicht einfach – wie findet man nach einer Katastrophe ins Leben zurück? Das ist der rote Faden, der uns durch den Eröffnungsfilm der Solothurner Filmtage führt. Etwas ist nicht so, wie es sein sollte – das wird den Zuschauer*Innen gleich zu Beginn des Films klar: Eine Familienrunde, bei der die anfängliche Fröhlichkeit in Tränen kippt, Versuche, eine Normalität im Umgang zu finden, die nicht mehr zurückkommen wird. Narben auf dem Körper, der anstrengende Weg zurück zum Gehen und zum Greifen:

Die junge Allegra aus dem Tessin ist die einzige Überlebende einer Freundesgruppe, die auf ihren Kletterferien im Hohen Atlas Opfer eines Terroranschlags. Die Schnitte zurück in die Zeit davor, wo sie in einem kleinen Lokal Konzerte organisierte, mit ihren Freunden kletterte und davon träumte, von der Bergspitze endlich einmal bis zum Meer zu sehen, stehen im krassen Gegensatz zum Nachher.

Eine Rückkopplung der PA-Anlage im Lokal bringt gleich ein Flashback zum Moment der Explosion. Der bärtige Fremde mit einem seltsam geformten Rucksack im Bus ist ein Grund, um sofort auszusteigen. Inspiriert durch ein reelles Ereignis, dem Attentat in einem Café in Marrakesch, in dem drei junge Tessiner ums Leben kamen, begleitet der Film auf feinfühlige Art die junge Frau, die sich an ein neues Leben herantastet, einen neuen Umgang mit Freunden und Familie findet und ihren Körper soweit wieder beherrscht, dass sie erneut die Welt von einem Gipfel aus betrachten kann.

Atlas, CH 2021, 90 Min. Regie: Niccolò Castelli. Mit Matilda De Angelis, Helmi Dridi, Irene Casagrande, Neri Marcoré, Angelo Bison, Nicola Perot, Anna Ferruzzo, Kevin Blaser, Anna Manuelli, Doro Müggler, Cristina Zamboni, Giacomo Bastianelli.

Beyto

Der junge Beyto ist ein erfolgreicher Secondo: seine Eltern führen ein Döner-Restaurant in Bern, ihm aber stehen alle Türen offen. Der Lehrbetrieb ist sehr zufrieden mit ihm, er ist Klassenbester in der Berufsschule, beim Schwimmen kommt er in die Auswahl des Nationalkaders – alles scheint wie am Schnürchen zu laufen. Bis er sich in seinen Schwimmtrainer Mike verliebt. Als seine Eltern davon erfahren, bricht die heile Welt zusammen: in ihrer Verzweiflung locken sie ihn in die Türkei, wo er seine Cousine Seher heiraten soll.

So findet sich Beyto in einem Dilemma, wie ihn viele Secondos erleben: Selbstbestimmung oder Tradition? Liebe oder Familie? Gitta Gsells Film begleitet Beytos Zerrissenheit mit viel Witz und Wärme und lässt am Schluss einen Hoffnungsschimmer aufblitzen. Es gibt einen Weg, wie die drei jungen Menschen einen Neuanfang wagen können, ohne gleich alle Brücken hinter sich zu verbrennen.

Die Regisseurin liess sich von Yusuf Yesilöz’ Roman «Hochzeitsflug» (erschienen im Limmat Verlag) inspirieren. Bei den Dialogen hatte sie für die Einwände der Schauspieler*innen ein offenes Ohr: dadurch wirkt gerade auch die Umgangssprache der jungen Menschen echt und lebendig. Und wer glaubt, das Thema sei im Jahr 2021 doch eigentlich überholt, sei an ein kleines Detail erinnert: die Hälfte der jungen Männer, die zum Casting kamen, verzichtete auf die Rolle des Beyto, als sie erfuhren, worum es im Film genau geht. Und selbst Burak Ates’ Eltern hatten anfänglich ein bisschen Mühe mit seiner Rolle – doch der Stolz über die schauspielerische Leistung des Sohnes übertraf ihre Bedenken.

Beyto, CH 2020, 98 Min. Regie: Gitta Gsell. Mit Burak Ates, Dimitri Stapfer, Ecem Aydin, Beren Tuna, Serkan Tastemur.

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