Ein Aktionsbündnis von katholischen Frauen und Männern hatte anlässlich des Katholikentags zu einer Demo durch die Stadt aufgerufen. (Foto: P. Bernd)

Leben teilen - Katholikentag in Stuttgart

DIE KIRCHE MUSS VOM KOPF AUF DIE FÜSSE GESTELLT WERDEN.

Kirche, die lebt, die anzieht und inspiriert, die sich einmischt und parteilich für die Bedrängten dieser Erde auftritt, die diskutiert und zum Nachdenken bringt, die jung und dynamisch ist, war durch Jahrzehnte das, was Menschen an Kirchen- oder Katholikentagen faszinierte. Von hier aus gingen sie mit Ideen und mit Aufbruchstimmung zurück in ihre Ortsgemeinden. Dies ist vorbei.

Dass zeitgleich mit dem Katholikentreffen eine neue Statistik publik wurde, nach der inzwischen weniger als die Hälfte der bundesdeutschen Bevölkerung einer christlichen Kirche angehört, was nicht wirklich überraschend und könnte auch Herausforderung zu Vernetzung und Aufbruch mit anderen zivilgesellschaftlichen und Non-Profi-Organisationen sein, mit denen die Kirche den menschenrechtlichen Impetus teilt, der auch die Mitte der grossen biblischen Erzählung ist.

Wer allein das grosse Podium in der Stuttgarter Liederhalle zum Thema «#AdultsToo – Missbrauch an Erwachsenen im Raum der Kirche» erlebte, sah sich mit bewegenden und zutiefst verstörenden Zeugnissen von Frauen, eines Mannes und von afrikanischen Ordensfrauen konfrontiert, die das Beben verstärken, das seit dem Aufdecken der systemisch verursachten sexuellen Gewalttaten und Übergriffe vor allem durch Kleriker die Kirche in ihren Grundfesten erschüttert. So wird der geistliche Missbrauch im Innenraum der Kirche und in Ordensgemeinschaften oft zum Ausgangspunkt weiterer Übergriffe in einem System, das existentielle Abhängigkeit generiert. – Dieser Katholikentag machte klar: Es muss mehr als kosmetische Veränderungen an System, Theologie, Sprache und Feiern geben.

Vom Kopf auf die Füsse

So wurde auch der kleinen Gruppe, die aus dem Pastoralraum Biel-Pieterlen zum Katholikentag angereist war, deutlich, dass Klartext gesprochen werden, dass Kirche und Christentum vom Kopf auf die Füsse gestellt werden muss, wie Dr. Irme Stetter-Karp, die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, schon bei der Eröffnung des Christen:innentreffens forderte. Die Angereisten haben sich mit kritischen Fragen und vielen Ideen auseinandergesetzt. Die Demo der Frauen von Maria 2.0 und eines ganzen Aktionsbündnisses machte lautstark und unmissverständlich klar, dass ein Grossteil der motiviertesten Engagierten, die die Gemeinden vor Ort tragen, endgültig die Nase voll haben: Genug vom systemischen Ausschluss von Frauen, genug von der jahrzehntelangen Ignoranz gegenüber der theologischen Forschung und Arbeit von Frauen und Männern, genug von einer Zweiklassenkirche, genug von den Lügen, genug von einer Kirche, die nur sich selbst genügt.

Die 7 Thesen von Maria 2.0 sind selbstbewusst und theologisch längst begründet. These 2 spricht eine notwendige Bedingung für die Zukunft von Kirche vor Ort an: «In unserer Kirche haben alle Menschen teil am Sendungsauftrag; Macht wird geteilt.»

Bunt und vielfältig

Die Biel-Pieterlener Gruppe entdeckte in solchem Selbstbewusstsein und in einigen Veranstaltungen des tausendfachen Programmangebotes für die knapp 30'000 Angereisten auch Neues und Inspirierendes: Kirchenkabarettistische Lieder von Patchwork, Konzerte, Workshops, eine grosse Palette von Organisationen in der Kirchenmeile, klare Statements zur politisch-menschenrechtlichen Verantwortung von Kirchen und Religionen, Begegnung mit Menschen.

Dazu gehörte das politische Nachtgebet mit Petra Pau, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, zur Apostelgeschichte, ein Workshop zum Bibelerzählen oder der von Dr. Sabine Bieberstein zum 16. Kapitel des Römerbriefes: «Junia und all die Anderen in Rom», der vor Augen führte, wie Frauen der frühen Jesusbewegung Apostelinnen waren und Gemeinden leiteten.

Das Thema eines Podiums «Tikkun Olam – Verantwortung für die Anderen» machte mit der Tiefen- und Breitendimension der theologisch-politischen Idee einer «Reparatur der Welt» vertraut. Darin deutet sich an, wie notwendig Gemeindereform, Aufbrüche, Wagnis in Bezug auf die Beauftragung von Frauen und Männern, Selbstermächtigung und Ermöglichung menschenrechtlicher Praxis überall an der kirchlichen Basis sind.

Peter Bernd

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