Michael Zeier, Berufspraktiker, und Markus Christen: Von Armut betroffen. Beide bei der ATD Vierte Welt. (Foto: P. Bernd)

Wenn Arme forschen

EINDRUCK VOM CARITAS-FORUM 2023 IN BERN ZUM THEMA "UNGLEICHHEIT IN DER SCHWEIZ"

Es ist beeindruckend, wie Martin Christen, der auf der Strasse lebte, von seinen Erfahrungen erzählt und davon, wie es mit Hilfe des Projektes „Armut – Identität – Gesellschaft“ der ATD Vierte Welt gelungen ist, durch Beteiligung Würde und selbstbestimmtes Handeln wiederzugewinnen. Dafür war Vertrauen nötig. Im Rückgriff auf die Idee der Volksuniversitäten kamen und kommen drei Wissensgruppen in Werkstätten zusammen: Wissenschaftler, Berufspraktiker und Menschen in Armut. Kollektives Wissen von Ungleichheit wird erforscht und auf den Punkt gebracht: Dass Armut von Generation zu Generation fortbesteht, dass Rechte nicht für Menschen in Armut gemacht sind, dass es so etwas wie institutionelle Misshandlung von Menschen gibt: Gewalt an der Seele. Aus diesem Projekt heraus wird die Forderung hörbar gemacht, dass Armutsbetroffene in die Gesetzgebung einbezogen werden. Das wäre ein demokratiepolitischer Meilenstein.

Das Vorstellen dieses Projektes durch die Caritas Schweiz auf ihrer diesjährigen sozialpolitischen Tagung, „Forum 2023“, im Januar mit dem Titel „Ungleichheit in der Schweiz“ machte einmal mehr deutlich, dass die katholische Organisation der sozialen und politischen Realität weit voraus ist.

Auf dem Forum wurde der neue Sozialalmanach vorgestellt – mit selbigem Titel. Der Almanach versammelt Artikel zum Thema „Ungleichheit“ aus unterschiedlichen Perspektiven und mit der Formulierung von Ansätzen für deren Überwindung. – Manchmal sind es die konkreten Zahlen, die aufrütteln: Oliver Hümbelin, Sozialforscher an der Berner Fachhochschule, stellt gegenüber: Jemand der über ein geringes Einkommen von nur Fr. 25‘000.- verfügt, muss darauf genauso viel Steuern zahlen, nämlich ca. Fr. 4‘000.-, die der andere auf ein Vermögen von Fr. 1‘000‘000.- abführen muss. Ueli Mäder, emeritierter Professor für Soziologie, wird auf einem Podium deutlich: Änderungen könne man nicht dem Goodwill der Reichen überlassen. „Wir müssen eine Umverteilung vornehmen. Da hapert es.“ Carlo Knöpfel von der Fachhochschule Nordwestschweiz weitet den Blick und betont die Zusammenhänge. Er spricht von der „imperialen Lebensweise“ der Menschen des sog. Westens und hat dabei den Zusammenhang von Klima- und Sozialpoltik im Auge. Es gelte sowohl international als auch national, dass die, die am wenigsten zum Klimawandel beitragen, am meisten darunter leiden. Seine Forderung ist klar: Ein green-deal muss auch ein social-deal sein.

Mehrere hundert Menschen, die in der sozialen Basisaufgabe von Kirche engagiert sind, kamen zum Forum 2023 – darunter viele junge. Sie zeigen durch ihre Arbeit eindrücklich und ermutigend, worin Sendung von Kirche an ihren konkreten Orten bedeuten soll. Peter Lack, Direktor der Caritas, sagt es so: „Erst 0% Armut sind 100% Schweiz.“

Peter Bernd

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