«Kirche ist gelebte Vielfalt»

Interview mit Karl-Martin Wyss zum neuen Organisationsreglement

Am 21. November 2021 stimmen die Mitglieder der röm.-kath. Gesamtkirchgemeinde Bern über ihr neues Organisationsreglement ab. Karl-Martin Wyss, Präsident des Kleinen Kirchenrats, freut sich über die Vorlage.

Interview: Karl Johannes Rechsteiner

Die katholischen Kirchgemeinden der Region Bern bilden eine Gesamtkirchgemeinde. Ihre Stimmberechtigten entscheiden am 21. November über ein neues Organisationsreglement. Wozu braucht es dies?

Karl-Martin Wyss: Das Reglement bildet die Grundlage fürs Engagement in der Gesamtkirchgemeinde. In der Region Bern verfügen wir über eine besondere Kirchenorganisation und können die Stärken vieler engagierter Menschen kombinieren. Zwölf eigenständige Kirchgemeinden umfassen jeweils ein eigenes geographisches Gebiet – doch sie fügen sich ebenso zusammen zu einem Grossen und Ganzen, um die Finanzen, das Bauwesen, pastorale Fachstellen oder die Informatik gemeinsam zu tragen. Die Vielfalt der Kirchgemeinden ist ebenso eine Stärke wie das Handeln der Gesamtkirchgemeinde als Einheit.

Wie spielt die Rechtsform der Kirchgemeinden mit dem Leben der Pfarreien zusammen?

Wir sprechen vom dualen System, weil die Organisation der Kirche zwei Aspekte umfasst: Zum einen die staatskirchenrechtliche Organisation der Kirchgemeinden – hier richten wir uns nach kantonalem Recht, dürfen Kirchensteuern einziehen, wählen und bestimmen wie normale Gemeinden nach demokratischen Regeln. Zum andern läuft das Leben in den Pfarreien in katholischer Tradition – hier geht es um die Gemeinschaft, die Seelsorge, die Liturgie und Verkündigung, das soziale und kulturelle Engagement. Die Kirchgemeinden und die Gesamtkirchgemeinde schaffen einen Boden fürs Pfarreileben.

Warum braucht es dafür ein neues Reglement?

Das Organisationsreglement gibt Leitlinien für den Alltag – es steht über anderen Beschlüssen und Reglementen der Gesamtkirchgemeinde und bildet unsere Verfassung. Es wurde zuletzt 2005 überarbeitet. Seither ist auf der Welt viel geschehen. Denken wir an die Digitalisierung oder Corona. Das neue Reglement ist die Antwort auf aktuelle Herausforderungen.

Was ist neu?

Zum ersten Mal beginnt das Reglement mit einer Präambel, in welcher wir unsere Grundsätze formulieren (siehe unten). Das erste Stichwort dabei heisst «menschennah» und weist darauf hin, dass die katholische Kirche für alle Menschen da sein will.

Und Anderssprachige Gemeinschaften werden besser integriert?

Ja. Sie werden anerkannt und aufgewertet – das betrifft vorerst die italienisch- und spanischsprachigen Missionen, weitere können dazustossen. Sie erhalten zum Beispiel in den Gremien des Grossen Kirchenrats und der Präsidenten­konferenz garantierte Sitze. Diese Gemeinschaften können neu ähnlich behandelt werden wie Kirchgemeinden – so wird die Vielfalt der Berner Kirche aufgewertet.

Katholisch-Bern ist stark von Migration geprägt. Bleibt das so?

Das Engagement in Pfarreien und Kirchgemeinden lebt von Menschen und Kulturen verschiedenster Herkunft. Diese Vielfalt ist eine Lebensader der Katholischen Kirche. So gibt es in den Pfarreien zum Beispiel englische, polnische, kroatische oder eritreische Gottesdienste. Wir sind sehr divers und doch ein grosses Ganzes. Alle Facetten, Gruppen, Gemeinschaften und Projekte bereichern uns. Mit dem Organisationsreglement entstehen neue Möglichkeiten, miteinander unterwegs zu sein.

Eine wichtige Neuerung betrifft Angestellte?

In einzelnen Kirchgemeinden arbeiten Menschen in Bereichen wie Katechese, Kirchenmusik oder Hauswartung oftmals in kleinen Pensen. Ihre Anstellung bei der Kirche setzt sich zum Beispiel aus fünf verschiedenen Arbeitsverträgen zusammen. Indem rechtlich die Gesamtkirchgemeinde zur Arbeitgeberin wird, vereinfacht sich das Ganze auf einen Arbeitsvertrag – die einzelnen Kirchgemeinden bleiben aber weiterhin ebenfalls für Personalentscheide zuständig.

Was verändert sich sonst?

Wir haben die Chance genutzt, die Finanzkompetenzen von Parlament, Exekutive und Volk den aktuellen Erfordernissen seit der letzten Gesamtrevision anzupassen. Das Organisationsreglement ist auch zeitgemässer formuliert.

Die Abstimmung ist das Resultat eines jahrelangen Prozesses?

Ja, es war ein spannender Weg, gerade auch deshalb, weil sich viele aus der ganzen Region Bern dabei beteiligt haben. Die Projektgruppe führte direkte Gespräche in jeder Pfarrei und mit jedem Kirchgemeinderat. Die Beteiligung war breit und kompetent. Zudem haben Fachleute professionell mitgewirkt.

Sie freuen sich auf die Volksabstimmung?

Sehr. Das Projekt ist als Teamwork entstanden. Die Gesprächskultur war hoch und zeigte: Kirche ist gelebte Vielfalt. Das neue Organisationsreglement ist eine Einladung zum Dialog. Wir brauchen diese Offenheit, um unsere Kirche aktiv, mutig und in Bescheidenheit gemeinsam in die Zukunft zu führen.

 

Die Präambel

Das neue Organisationsreglement der Gesamtkirchgemeinde beschreibt erstmals in einer Präambel die Grundsätze, nach denen sie ihre Aufgaben erfüllen will:

Menschennah

Wir wollen als Kirche für alle Menschen da sein.

Verantwortungsbewusst

Wir setzen uns für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung ein.

Partnerschaftlich

Wir gestalten eine partnerschaftliche Kirche, die die Mitwirkung und Mitbestimmung fördert.

Mutig

Wir analysieren die Zeichen der Zeit und deuten sie im Licht der christlichen Botschaft.

Nachhaltig

Wir überprüfen selbstkritisch die Wirkung unserer Arbeit.

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