Felix Weder

«Du hast immer Augenkontakt»

Gehörlosenseelsorge - Ein Interview mit Felix Weder

Felix Weder ist seit 2009 als Seelsorger im Lindehus in Münchenbuchsee tätig. 60 Prozent wirkt er für die Gehörlosenseelsorge bis in die Regionen Solothurn und Basel, 40 Prozent für die hörende lokale Pfarrei. Er ist verheiratet und hat vier erwachsene Kinder und ein Grosskind.

Anderswo gibt es Behindertenseelsorger - bist Du das auch?

Felix Weder: Ich bin ausschliesslich für die Gehörlosenseelsorge zuständig. Es gibt jedoch auch Hörbehinderte. Zum einen gibt es Menschen, die noch etwas hören können. Zum andern diejenigen, die von Geburt an gehörlos sind oder durch einen Unfall oder eine Krankheit ihr Gehör verloren haben.

Kommen nur katholische oder auch reformierte Gehörlose zu Dir?

Die historische Kirche in Münchenbuchsee können wir als Katholiken mitbenützen. Heute ist sie natürlich reformiert, doch wir haben zum Beispiel einen gemeinsamen Kelch haben. Es ist eine sehr gute ökumenische Zusammenarbeit. In dieser haben wir einfach mehr Platz als im Lindehus, das ist gerade in der Corona-Zeit wichtig.

Wie kamst Du zur Gehörlosenseelsorge?

Wie die Jungfrau zum Kinde ... Fabian Berz, der Personalverantwortliche des Bistums meinte: "Felix, Du hast Geduld. Und für Gehörlosenarbeit braucht es viel Geduld!" So kam das, etwas überraschend.

Du hast Dich dafür herausfordern lassen?

Eine grosse Herausforderung war es, die Gebärdensprache zu erlernen. Fällt mir gerade die Gebärde für ein bestimmtes Wort nicht ein, ist es heute einfacher geworden, ich kann einfach und schnell im Internet nachsehen. Ab und zu stimmt es, ab und zu jedoch auch nicht. Die Gebärdensprache bleibt eine Herausforderung. Sie ist wichtig, um das Vertrauen der Gehörlosen zu finden.

Wie viele Gehörlose betreust Du?

Die Anzahl der Gehörlosen nimmt ab. Denn die meisten Eltern mit einem gehörlosen Kind lassen ihm ein Cochlea-Implantat implantieren, eine Art Hör-Prothese. Die Invaliden-Versicherung übt Druck dafür aus, denn danach muss sie nichts mehr zahlen. Insgesamt kommen drei oder vier Gehörlose regelmässig zu mir ins Lindehus, einige mehr dann bei den Gottesdiensten und danach zu Kaffee und Kuchen.

Du bist für vier Kantone zuständig?

In Bern, Solothurn, Basel-Land und Basel-Stadt feiere ich jedes Jahr jeweils sieben entsprechende Gottesdienste. Überall konnte ich viele Kontakte aufbauen. Natürlich ist das Vertrauen ein wichtiger Faktor. Teilweise schämen sich Menschen, dass sie krank sind. Es gibt immer wieder Situationen, wo niemand von dieser Krankheit erfahren soll. Dort muss ich enorm achtgeben, dass ich niemanden blossstelle. Manche Menschen haben auch nicht gerne Hausbesuche. Die treffe ich dann halt in einem Resteraunt oder Café.

Können die Menschen mit ihrer Behinderung gut umgehen?

Es gibt solche, die ihre Gehörlosigkeit rundum annehmen und sagen: "Ich bin gehörlos geboren, das ist nun mal so." Doch gibt's auch diejenigen, die nicht aufhören können, mit ihrem Schicksal zu hadern. Natürlich ist es eine Genugtuung für mich, wenn ich jemanden helfen kann.

Was ist besonders?

Gehörlosen schaust Du stets ins Gesicht. Du hast immer Augenkontakt. Das ist bereichernd und ein Vorteil. An einem Gesicht kann ich gut ablesen. Die Mehrheit der Menschen, die ich begleite, ist pensioniert. Hier spielen Themen wie das Älterwerden hinein oder die Pflegebedürftigkeit.

Was musst Du besonders beachten?

Ein Priester hat mir am Anfang zwei Tipps gegeben: Erstens eine einfache Sprache zu wählen mit kurzen Sätzen und höchstens einem Komma. Zweitens habe es keinen Sinn, einem gehörlosen Menschen theologische Begriffe wie die Transsubstantiations- Lehre erklären zu wollen ... Ich hielt mich an beide Empfehlungen.

Auch Gottesdienste müssen also einfach bleiben?

Der Gottesdienst muss nachvollziehbar sein und eine Verbindung zum Leben haben. In Gottesdiensten mit Gehörlosen und Hörenden ist die Gebärdensprache übrigens auch eine Hilfe für die Hörenden! Etwa die Gebärden für Essen (etwas mit den Fingern dem Mund zuführen) oder für Trinken (ein unsichtbares Glas halten und in den Mund kippen) sind einfach zu interpretieren. Umgekehrt ist es manchmal schwierig, für einen Text im Gottesdienste die richtige Gebärde zu finden.

Brauchst Du spezielle Hilfsmittel?

Bei meinen Gottesdiensten nutze ich eine Leinwand mit Präsentation. Auch hier bilde ich nicht zu lange Sätze und schreibe pro Zeile nur einen kurzen Satz, damit es einfacher wird zu lesen und zu folgen. Wichtig ist aber auch, dass beim Gottesdienst immer auch das Herz berührt wird. Denn Spiritualität hat nicht nur mit dem Kopf zu tun, sondern mit dem gesamten Körper.

Deshalb bietest Du auch Handauflegen an?

An einer Beerdigung eines hörenden Mannes habe ich eine Frau kennengelernt, die mich bei einem Besuch bat, ihr meine Hände zu zeigen. Sie meinte, dass dies gute Hände zum Auflegen seien. Das motivierte mich zu einem Kursbesuch bei einem Heiler. So habe ich begonnen, auch selber bei einem kranken Mitmenschen meine Hände aufzulegen. Wichtig mit dabei, dies immer im Namen von Jesus Christus zu tun, keine Heilungsversprechen abzugeben und dabei auf mich und aufs Gegenüber zu schauen, im Sinne von "Häb Sorg".

Nun legst Du auch bei Gehörlosen die Hände auf?

Gottesdienste mit Händeauflegen zeigen mir eine neue Qualität der Seelsorge. Ich tue dies natürlich nur, wenn es jemand möchte, egal ob bei Hörenden oder Gehörlosen. Die Leute sprechen gut darauf an und kommen auch wieder.

Bald wirst Du pensioniert?

Am 13. Juni 2021 werde ich meinen letzten Gottesdienst mit Gehörlosen in Olten halten. In Münchenbuchsee feiere ich am 30. Mai 2021 meinen letzten ökumenischen Gottesdienst mit den Reformierten. Wenn es dann meine Zeit erlaubt, gehe ich wieder mal auf den Jakobsweg. Ich werde die Gehörlosenseelsorge natürlich vermissen. Doch ich brauche auch Zeit, um mich auf andere Projekte konzentrieren zu können. Die Suche nach meiner Nachfolge ist im Bistum bereits im Gange.

Hat die katholische Kirche in Bern Nachholbedarf?

Etwas mehr Sensibilität für Gehörlose und Schwerhörige wäre gut. Für Schwerhörige funktionieren manchmal die Ringleitungen in den Kirchen nicht so gut. Hilfreich ist auch sas Austeilen von Texten, um den Evangelien, der Predigt und den Gebeten besser folgen zu können.

Und Corona?

Für die Gehörlosen sind Masken unmöglich, denn so können keine Lippen gelesen werden. In der Kirche können wir genügend Abstand halten. Deshalb achten wir sehr auf genügend Abstand.

 

 

Gottesdienst "Glaube und Behinderung"

Samstag, 31. Oktober, 16.00 - Reformierte Kirche, Oberdorfstrasse 6, 3053 Münchenbuchsee

Louis Amport tanzt mit seinem Rollstuhl. Er arbeitet im Hipp-Hopp-Center in Bern, interessiert sich für Fragen des Glaubens und feiert mit uns Gottesdienst zum Thema "Glaube und Behinderung". Louis ist hörend. Er wird mit uns über dieses Thema reden. Projektion mit dem Beamer und dolmetschen Felix Weder. Anschliessend Kaffee und Kuchen.

 

Weitere Informationen: https://www.kathbern.ch/gehoerlose

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