Surinam, die Sklaverei und Berner Geranien

Der Weltgebetstag und die verdrängte koloniale Vergangenheit der Schweiz

In unzähligen Ländern wird dieser Tage der Weltgebetstag der Frauen gefeiert. Der Fokus liegt 2018 auf Surinam. Dabei geht hierzulande vergessen, dass die Schweiz in dem kleinen Land in Südamerika einst eine eher problematische Rolle spielte - eine Hintergrundgeschichte.

Viele der 1200 Söldner, die 1773 nach Surinam geschickt wurden, kamen aus den helvetischen Republiken. Ihr Anführer Oberst Louis Henri Fourgeoud stammte aus der Waadt, damals noch ein Untertanengebiet von Bern. Seit Jahren hatte sich der Berner Offizier in holländischen Diensten als Sklavenbändiger einen Namen gemacht, zum Beispiel 1763 bei der Niederschlagung eines Sklavenaufstandes in Guyana (Holländisch-Berbice). Nun ging es wieder in den Nordosten Südamerikas. In Surinam mussten wie anderswo die indigene Bevölkerung und die hierher verschleppten afrikanischen Sklaven auf den Plantagen der Kolonialherren schuften. Hier wurden die klassischen Kolonialprodukte wie Zuckerrohr, Kaffee, Baumwolle und Kakao angebaut, nach denen in Europa grosse Nachfrage herrschte. Die niederländische Kolonie war bei den Schweizern beliebt. Zu den Besitzern von Sklaven und Plantagen gehörten etwa die berühmte Familie du Peyrou aus Neuenburg, der Genfer Ami Butini, Jean Chevalier aus der Waadt, der Bündner Conrad Vincent, der St. Galler Daniel Högger und etliche mehr. Die Datenbank www.cooperaxion.ch über im Sklavenhandel beteiligte Schweizer umfasst alleine zu Surinam über zwei Dutzend dokumentierte Einträge.

Gegen die Ausbeutung und Brutalität der europäischen Pflanzer wehrten sich im 18. Jahrhundert zahlreiche Sklaven. Sie flohen oder organisierten Aufstände. Das wirkte als Bedrohung für die weisse Bevölkerung mit ihren etwa 3000 Personen. Denn gleichzeitig lebten etwa 5000 geflüchtete Sklaven in der Kolonie. Die in Surinam stationierten Soldaten griffen immer wieder ein und forderten auch mal Verstärkung an, zum Beispiel eben Henri Fourgeoud und seine Truppe. Mit seinen Männern führte er Expeditionen in die Wälder, um die Stützpunkte der Aufständischen aufzuspüren und zu zerstören. Von den 1200 Söldnern überlebten rund 100 die Einsätze – allerdings starben nur wenige im Kampf, die meisten wurden von Krankheiten hingerafft. Fourgeoud spielte in Surinam bis 1778 eine entscheidende Rolle, indem er viele Sklavendörfer dem Erdboden gleich machte. Kurz nach seiner Rückkehr starb er in den Niederlanden, eines Morgens fand ihn sein Sklave tot im Bett. – In Surinam ging die Ausbeutung der Sklaven lange weiter. Sie wurde erst 1863 verboten, die Sklaven mussten allerdings noch zehn Jahre weiter auf den Plantagen schuften, während deren Besitzer für die „Enteignung“ entschädigt wurden. Die holländische Kolonie musste sogar noch bis 1975 (!) auf ihre Unabhängigkeit warten. Wie die Texte der Frauen aus Surinam zum diesjährigen Weltgebetstag zeigen, ist das Land noch heute tief geprägt von der kolonialen Vergangenheit und der Sklaverei.

2000 Schweizer Söldner pro Monat

Die Schweiz besass weder Kolonien noch war sie eine Seefahrernation. Doch die helvetischen Republiken waren vom 16. bis 19. Jahrhundert Teil dieses globalen Wirtschaftssystems, dessen Geschäfte auf Kosten der (schwarzen) Menschen florierten. Surinam zeigt exemplarisch, auf welche Weise die Schweiz in den Kolonialismus verwickelt war:

·       Handel: Schweizer beteiligten sich bei Anbau, Fabrikation, Handel und Transport von Kolonialwaren. Sie besassen Plantagen mit Sklaven, exportierten und importierten. Dabei kontrollierten sie zum Teil ganze weltweite Warenketten etwa bei Baumwolle oder Zucker.

·       Finanzen: Schweizer investierten in Handelsfirmen, Aktien, finanzierten als Bankiers Investitionen, versicherten selbst Sklaventransporte oder spekulierten wie etwa das Berner Ancien Régime höchst aktiv im Bereich des Südseehandels.

·       Fremddienste: Offiziere und einfache Soldaten wurden als Söldner nicht nur in Europa eingesetzt, sondern manche auch in Übersee.

Wie wichtig das Söldnerwesen wirtschaftlich für die damalige Schweiz war, zeigen ein paar Zahlen: Von 1450 bis 1850 leisteten etwa eine Million Schweizer fremde Dienste, durchschnittlich meldeten sich also etwa 2000 Männer pro Monat. Dies ist eine unglaublich hohe Zahl angesichts der geringen Bevölkerung des Landes, die erst im 19. Jahrhundert auf über zwei Millionen Menschen wuchs.

Die Weltwirtschaft war jahrhundertelang – bis etwa um 1900 – geprägt vom so genannten transatlantischen Dreieckshandel: Von Europa aus fuhren die Schiffe innert rund zwei Jahren via Afrika in die Amerikas und zurück nach Europa. In Afrika beliebt waren Werkzeuge und Waffen, Glaswaren oder zum Beispiel bedruckte Baumwollstoffe aus der Schweiz. Solche Produkte wurden nach Westafrika verschifft und dort gegen Sklaven eingehandelt, die für Fronarbeit auf Baumwoll-, Tabak- oder Zuckerplantagen nach Amerika verschleppt wurden. Viele starben bereits vor oder während der Überfahrt. In Übersee wurden im Austausch zur menschlichen Ware Rohstoffe geladen, von Kaffee über Kakao bis Kautschuk. Die Ausbeutung der Sklaven und die Erträge dieses Handels waren entscheidend für den Aufbau des Wohlstands in Europa. Heute noch zeugen Spitäler, Museen und Prachtbauten in diversen Schweizer Städten oder die Geschichte von Finanzinstituten vom Reichtum der damaligen Profiteure dieser Geschäfte.

Geranien als Symbol

Die starken Verbindungen aus den helvetischen Republiken nach Surinam haben eine Wurzel im Schweizer Söldnertum. Gerade eine europäische Grossmacht wie das Alte Bern pflegte gute Beziehungen mit den holländischen Handels-Kompanien. In der Bundesstadt sind diese alten Connections noch heute sichtbar etwa beim so genannten „Holländerturm“, in dem sich nun das italienische Restaurant „Molino-Thurm“ befindet. Das markante Gebäude am Waisenhausplatz wurde einst als Teil des zweiten Wehrgürtels der Stadt in der Fortsetzung des Käfigturms gebaut. Zu seinem Namen kam der Holländerturm, weil bernische Offiziere mit Erfahrungen in holländischen Diensten hierher kamen, um Tabak zu rauchen, eine Sitte, die sie sich in den Kolonien angeeignet hatten. Hier war man vor ungebetenen Zuschauern sicher, als das Rauchen noch verboten war und mit Geldbussen oder gar Gefängnis bestraft werden konnte. So wurde der Holländerturm um 1720 zum privilegierten Raucherstübli der Berner Patrizier. Natürlich waren auch Holländer zu Gast, so kamen hier auch neue Söldnerverträge zustande.

Eine andere wichtige Destination der Holländer war neben Surinam die Kolonie der Niederländischen Ostindien-Kompanie am Kap der Guten Hoffnung. Dort in Südafrika trafen Berner Söldner erstmals auf eine besonders hübsche Wildblume. Ihre holländischen Freunde brachten als führende Blumenhändler der Welt die Pelargonien auch an die Aareschlaufe. Rasch eroberten die Geranien die Fensterplätze, gepflegt von ihren Hausangestellten, welche mit abgezweigten Stecklingen auch die Fensterbänke zuhause im Emmental schmückten und die Geranie zu einer einheimischen Blume machten. So erinnern heute die roten Blüten jeden Sommer still an die verdrängte koloniale Vergangenheit der Schweiz.

Aktueller Hinweis Ausstellung im Haus der Begegnung in Bern

Text: Karl Johannes Rechsteiner*

*Der Autor leitet die Kommunikationsstelle der Katholischen Kirche Region Bern. Er ist zudem Präsident der Berner Stiftung Cooperaxion für nachhaltige Entwicklung und kulturellen Austausch, die in Brasilien und Liberia Entwicklungs- und Menschenrechtsprojekte durchführt in Kooperation mit Nachfahren afrikanischer Sklavinnen und Sklaven.

 

   

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