«Wir alle brauchen Zuwendung»

Haus- und Krankenbesuche gehören zur Pfarreiseelsorge. Eine stille Arbeit, die nachwirkt.

In allen Pfarreien gehört es zur Seelsorge, Menschen zuhause oder in einem Heim zu besuchen. Zum Beispiel in Ostermundigen – die Theologin Gabriela Christen-Biner erzählt, wie sie bei den Besuchen immer mit Freude begrüsst wird. Es ist eine Arbeit, die meist im Stillen geschieht, aber viel Befriedigung schenkt.

«Ich bin immer ein willkommener Gast», berichtet Gabriela Christen-Biner von der Pfarrei Guthirt über ihre Besuche bei kranken oder betagten Menschen zuhause oder in Pflegeheimen und Altersresidenzen: «Alle empfinden Freude und schätzen es sehr, dass sich jemand Zeit nimmt, zu ihnen kommt und zuhört.» Die Dankbarkeit ist gross, da werden auch mal Guetsli und Tee serviert. Die Walliser Theologin ist vorwiegend in Ostermundigen unterwegs, manchmal auch in einer andern Gemeinde der grossen Pfarrei mit rund 8000 Kirchenmitgliedern. In Stettlen, Bolligen und Ittigen etwa sind Jonathan Gardy und Franca Collazzo Fioretto mit der gleichen Aufgabe betreut. Vereinzelt übernimmt auch Gemeindeleiterin Edith Zingg Krankenbesuche. Denn auf dem Pfarreigebiet liegen acht Alters- und Pflegeheime sowie Altersresidenzen.

Teil der Seelsorge

Die Hausbesuche machen etwa zehn Prozent ihres Pensums aus, schätzt Gabriela Christen. Die Tage des Seelsorge-Teams sind gefüllt von Religionsunterricht, Gottesdiensten, Beerdigungen, von Jugend- und Altersarbeit oder von aktuellen Projekten wie jetzt während der Pandemie mit vielfältigen Formen des Pfarreilebens. Manchmal guckt die katholische Fachfrau ein bisschen neidisch auf ihren reformierten Kollegen, dessen halbe Stelle gänzlich auf Heimseelsorge ausgerichtet ist und der an der Uni Bern eine Ausbildung dafür absolvieren konnte. Er besucht alle Menschen, unabhängig von Konfession oder Religion. «Ich bin dankbar für die Zusammenarbeit mit ihm und den guten Austausch.»

Auch den Austausch mit Freiwilligen erlebt Gabriela Christen als wertvoll. Um die Arbeit unter den Seniorinnen und Senioren zu stärken, wurde vor ein paar Wochen eine Arbeitsgruppe mit Freiwilligen gebildet. Dank ihren wichtigen Anregungen konnten neue Schwerpunkte entwickelt werden: «So können wir die Bedürfnisse der Leute im dritten Lebensalter besser einschätzen.» Daraus entstanden zwei Projekte, die nach den Corona-Einschränkungen starten sollen.

Nach Hausbesuchen fragen

«Manchmal sind nur vereinzelte Besuche möglich», bedauert Gabriela Christen. Immer wieder vernimmt sie dank Zufall, dass jemand krank geworden ist. «Für Hausbesuche sind wir darauf angewiesen, dass die Leute anrufen», bittet die Seelsorgerin. Auch für eine Haus-Kommunion brauche es einen Kontakt etwa durch Angehörige. Die Spitex oder der reformierte Kollege geben ebenfalls Hinweise. «Durch die Kontakte an den Gottesdiensten in den Heimen erfahre ich zudem viel», erklärt Gabriela Christen die verschiedenen Wege, die einen Haus- oder Heimbesuche auslösen.

Ihre Besuche werden von den Menschen gewürdigt. Es sind keine Plauderstündchen, sondern geht ans Lebendige, weiss Gabriela Christen-Biner. Viele Gespräche drehen sich um den Sinn des Lebens: Was soll ich hier noch, so alt und gebrechlich? «Das tägliche Ringen um die Würde der Menschen in den Heimen», beeindruckt die Theologin: «Ich habe grosse Hochachtung vor dem Pflegepersonal, dass ständig schaut, dass alle würdevoll behandelt werden. Es braucht viel Kraft, Geduld und Einfühlungsvermögen. In jedem Zimmer treffen sie eine andere Situation, eine andere Lebenswelt.»

Grosse kleine Zeichen

Die letzte Weihnacht verschaffte Gabriela Christen in einem Heim ein besonderes Erlebnis. Die dortige Aktivierungs-Therapeutin organisierte pro Stockwerk coronakonforme Feiern in kleinen Grüppchen. Alle zogen sich gediegen an, Männer mit Krawatte und Kittel, Frauen im schönen Kleid und direkt vom Coiffeur. Es gab eine Ansprache vom Heimleiter und Musik. «Die Weihnachtsfeier wurde vom ganzen Heim mitgetragen und zeigte, wie wichtig solche Zeichen sind», erinnert sich Gabriela Christen reich beschenkt. «Wir alle brauchen Zuwendung», erklärt die Theologin den Wert der Haus- und Krankenbesuche: «Wir nehmen Anteil an einem Leben, nehmen es ernst.» Ihre Rolle als Seelsorgerin öffnet Türen, aber sie kommt als Mensch hin, hört zu, nimmt sich Zeit, hält eine Hand und berührt. Auch kleine Feiern mit Kommunion erlebt Gabriela Christen als bereichernd: «Die Rituale sind ein Stück Heimat.» Dazu gehören auch Kirchenlieder oder das Beten eines Vaterunsers. Selbst demente Menschen finden dadurch einen Zugang zu sonst verschüttetem Leben.

Es bleibt Gelassenheit

Manchmal überwiege die Ohnmacht, erklärt Gabriela Christen: «Wenn etwa ein Rücken unheilbar schmerzt und die Beschwerden kaum auszuhalten sind, kann das Tränen geben.» So geht sie schon mal nachdenklich nach Hause. Alt werden, sei oft nicht lustig. Doch sie höre auch von spannenden Lebensläufen, Schicksalsschlägen und Kriegserlebnissen. Sie bekommt Einblick in eine Zeit, die sie nicht erlebt hat.

«Einzelne Menschen besprechen mit mir ihre Beerdigung, das geht oft sehr tief», sinniert Gabriela Christen. Haben die Leute Angst vor dem Sterben? «Angst treffe ich selten an. In der Regel sind die Menschen gelassen und warten mit Zuversicht, dass der Tod irgendwann kommt.» Gabriela Christen-Biner trifft auf ihren Haus- und Krankenbesuchen vor allem auf offene Menschen: «Ich staune immer wieder über den Reichtum des Lebens.»

Karl Johannes Rechsteiner

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