Luigi Maglione, Apostolischer Nuntius in der Schweiz 1920-1926

100 Jahre Berner Nuntiatur

Schweiz und Heiliger Stuhl feiern 100 Jahre diplomatische Beziehungen.

Ein Nuntius ist ein päpstlicher Botschafter im Range eines Erzbischofs. Als diplomatischer Vertreter des Heiligen Stuhls informiert er die römische Kurie über sein Gastland. In seiner kirchlichen Funktion vermittelt er zwischen Bischöfen, Klerus und Kurie und informiert den Heiligen Stuhl über die Kirche in seinem Gastland, was besonders bei anstehenden Bischofswahlen und -ernennungen und der Überprüfung der Tauglichkeit von Kandidaten bedeutsam ist.

Autor: Urban Fink-Wagner*

Erste ausserordentliche Nuntien kamen zu Beginn des 16. Jahrhunderts in die Eidgenossenschaft, um Militärkapitulationen abzuschliessen und Söldner für den Kirchenstaat anzuwerben. Ein Ergebnis davon ist die 1506 gegründete Päpstliche Schweizergarde. Nach dem Konzil von Trient (1545–1563) wurden die Nuntien in den Dienst der Gegenreformation und der Katholischen Reform gestellt und übten in der dreizehnörtigen Eidgenossenschaft quasibischöfliche Funktionen aus. Denn damals residierten alle Bischöfe, die für die damalige Schweiz zuständig waren – mit Ausnahme des nach Freiburg vertriebenen Bischofs von Lausanne –, ausserhalb des Schweizer Staatenbundes, sodass der Nuntius als Weihespender und Entscheidungsinstanz gefragt war. 1586 wurde im katholischen Vorort Luzern die ständige Nuntiatur errichtet, die mit Unterbrechungen bis 1873 dort geführt wurde. Nach der französischen Botschaft in Solothurn – 1530 gegründet und bis 1792 im Ambassadorenhof beheimatet –, war sie die zweitälteste ständige Gesandtschaft in der Schweiz.

Vertreibung aus Luzern 1873

1847/1848 unterlagen die föderalistisch und konservativ gesinnten Katholiken und Reformierten den Liberal-Radikalen, was zur Umwandlung des Schweizer Staatenbundes in den heutigen Schweizer Bundesstaat führte. Obwohl Bern zum neuen politischen Zentrum der Schweiz wurde, beliess der Heilige Stuhl seine Nuntiatur in Luzern und entsandte nur noch einen Geschäftsträger– ein Zeichen des Protests gegen die neue politische Ordnung der Schweiz und deren Hauptträger.

Vollends eskalierte die Situation im Kulturkampf der 1870er-Jahre. Die liberal-radikal eingestellten Schweizer Katholiken lehnten die 1870 verkündigten Dogmen betreffend die Unfehlbarkeit und den Jurisdiktionsprimat ab, was Papst Pius XI. im November 1873 scharf verurteilte. Der Bundesrat antwortete seinerseits Ende 1873 mit dem Abbruch der ohnehin getrübten diplomatischen Beziehungen. Im Februar 1874 musste der päpstliche Geschäftsträger die Schweiz verlassen. Es gab aber weiterhin informelle Kontakte, da keine Seite einen völligen Bruch herbeiführen wollte.

Die Errichtung der Berner ­Nuntiatur 1920

Diese Kontakte wurden seit den 1880er-Jahren intensiviert. Während des Ersten Weltkriegs (1914–1918) entsandte der Heilige Stuhl mit Francesco Marchetti-Selvaggiani einen nicht beglaubigten Sondergesandten in die Schweiz mit dem Ziel, sich um Internierte zu kümmern, was zu engen Kontakten zu den Schweizer Behörden führte. Besonders enge Beziehungen pflegte dessen Nachfolger Luigi Maglione zum katholisch-konservativen Bundesrat Giuseppe Motta. Motta konnte im Juni 1920 im Bundesrat ein Ja zur Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen der Schweiz mit dem Heiligen Stuhl erreichen, was die Eröffnung einer Nuntiatur in Bern ermöglichte.

Die Eröffnung und die ersten Jahre der Berner Nuntiatur verliefen aber nicht ohne Nebengeräusche. Die Höflichkeitsbesuche des ersten Berner Nuntius in katholischen oder gemischten Kantonen stiessen bei protestantischen und liberal-radikalen katholischen Kreisen auf Widerstand. 1924/1925 entstand unter Führung des Evangelischen Kirchenbundes eine Kontroverse, die dazu führte, dass Nuntius Maglione zukünftig solche Besuche unterliess.

Die Haltung der Schweizer ­Bischöfe zur Gründung der ­Berner Nuntiatur

Spannend ist im Abschlussbericht von Nuntius Maglione aus dem Jahre 1926 im Vatikanischen Archiv nachzulesen, dass die Zusammenarbeit des ersten Berner Nuntius mit dem Bundesrat ausgezeichnet war, es aber im Kontakt mit den damaligen Schweizer Bischöfen unterschiedliche Ansichten und auch Friktionen gab. Die deutschsprachigen Schweizer Bischöfe nahmen die Errichtung der Berner Nuntiatur nicht mit Begeisterung auf. Der damalige Churer Bischof Georgius Schmid von Grüneck betonte bei allen Gelegenheiten, dass der Nuntius eine rein diplomatische Mission im Zusammenhang mit der Eidgenossenschaft habe, sich aber nicht in kirchliche Angelegenheiten einmischen soll. Der Nuntius und auch seine Vorgesetzten in Rom waren gegenteiliger Ansicht. So setzte Nuntius Maglione mit aller Härte in den Diözesen Sitten und Lausanne-Genf die päpstliche Ernennung der Bischöfe durch. Die freie Domkapitelswahl in den Diözesen Basel und St. Gallen sowie das privilegierte Wahlrecht im Bistum Chur – soweit nicht von einzelnen Churer Bischöfen und von Rom selbst umgangen – wurde und wird von den meisten Berner Nuntien und der römischen Kurie bis heute kritisch beäugt. Leicht wird dabei vergessen, dass die einseitige römische Ernennung ohne Einbezug der Ortskirchen keine Lösung ist, wie sich – auch in der Schweiz – schon mehrmals gezeigt hat.

Die Berner Nuntien zwischen Macht und Seelsorge

Die Quellen der nun hundertjährigen Berner Nuntiatur sind nur bis 1958 zugänglich. Trotzdem lassen sich zwei Typen von Nuntien feststellen. Der eine Typ ist der machtbewusste und rein institutionengeleitete Nuntius, der die Interessen der römischen Kurie als oberste Leitlinie hat und sich vorschnell auf die zahlreichen innerkirchlichen Denunzianten einlässt; der zweite ist der Seelsorger, der unter Beachtung der hiesigen Gegebenheiten zusammen mit den Ortskirchen möglichst gute Lösungen finden will, die seiner Meinung nach auch aus römischer Sicht statthaft sind. Der zweite Typus möchte möglichst den Gläubigen, beziehungsweise wie es der letzte Satz im Kirchenrecht so schön sagt, «dem Heil der Seelen (…), das in der Kirche immer das oberste Gesetz sein muss», dienen.

Bei den bisherigen Nuntien in Bern gab und gibt es beide Typen, auch in Mischformen. Nicht vergessen werden darf, dass es für die meist italienischen Nuntien schon aus sprachlichen und kulturellen Gründen und wegen ihrer ursprünglichen kirchlichen Beheimatung eine enorme Herausforderung ist, in der Schweiz zu wirken. Bisher waren die meisten Berner Nuntien der deutschen Sprache kaum mächtig; der jetzige Nuntius Thomas Gullickson ist hier eher die Ausnahme. Das politische und kirchliche System in der Schweiz und die verschiedenen Mentalitäten als Aussenstehender zu begreifen, ist enorm anspruchsvoll. In diesen Punkten waren bisher die meisten Nuntien überfordert, wie das bei Ambrogio Marchioni, Berner Nuntius in den Jahren 1967 bis 1984, besonders deutlich wurde. Er hatte kein Gespür für die komplizierten örtlichen kirchlichen Verhältnisse und empfand seinen Aufenthalt in Bern wohl als Exil, wie das auch bei vielen Luzerner Nun­tien früher der Fall gewesen war.

Der Typus Seelsorger wird von Karl-Josef Rauber verkörpert, der 1991 wegen der Krise um den Churer Bischof Wolfgang Haas in Sondermission und ab 1993 als Nuntius in der Schweiz gewirkt hat. Er hatte als Deutscher keine Sprachbarrieren zu überwinden und wollte als Nuntius ein Seelsorger sein, der hinhört und Brücken baut. Er, der die einzige Lösung der Krise um den Bischof von Chur in dessen Rückzug sah, wurde 1997 von seinen Vorgesetzten in Rom deswegen nach Ungarn strafversetzt, bevor Wolfgang Haas dann doch nach Liechtenstein abgeschoben wurde. Die unerwartete Erhebung von Karl-Josef Rauber zum Kardinal durch Papst Franziskus im Jahre 2015 ist eine Rehabilitation seiner Person und seines Wirkens, die mich enorm gefreut hat. Die römisch-katholische Kirche in der Schweiz ist diesem früheren Berner Nuntius zu grossem Dank verpflichtet.


Staatsbesuch aus dem Vatikan

Am 8. und 9. November war ein Besuch von Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin in Bern geplant, Bundesrat Iganzio Cassis hatte eingeladen. Anlass ist der 100. Jahrestag der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Heiligen Stuhl. Wegen der Coronapandemie ist die Begegnung, und auch eine Tagung zum Thema an der Universität Freiburg, abgesagt.

Dieser Artikel erschien im Kirchenblatt für römisch-katholische Pfarreien Solothurn, Nr. 2/2020,
www.kirchenblatt.ch



*Der Historiker und Theologe Urban Fink-­Wagner publiziert(e) über die Luzerner und Berner Nuntiatur.


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