Gott wusste, dass es in der Welt Leid geben könnte. Ist er mitverantwortlich für die Qualen der Menschheit? Skulptur: Kiki Smith, Ohne Titel (Gebeugte Frau), 1995; Foto: kr, Genf

Aber zuvor hat er auch für uns gelebt!

Drei Zugänge zum Kreuzestod Jesu. Ein Text von Jonathan Gardy, Theologe und Novize bei den Jesuiten.

Das Kreuz ist das zentrale Symbol des christlichen Glaubens. Es steht für den Tod und die Auferstehung Jesu Christi – und für die gläubige Überzeugung, dass Gott uns damit erlöst hat. Doch erlöst wovon eigentlich? Oder wozu? Und wie kann man diese Erlösung heute verstehen? Drei Zugänge zum Kreuzestod Jesu.


Von Jonathan Gardy, Theologe und Jesuiten-Novize, Nürnberg


«Jesus hat am Kreuz unsere Sünden auf sich genommen und dem Vater für sie Genugtuung geleistet.» Solche Bekenntnisse präsentieren mir den Kreuzestod Jesu als Sühneopfer: Christus tut mit seinem Leiden Busse für die Schuld der Menschen – darum kann Gott uns vergeben, der Weg in den Himmel ist frei. Wie die Theologie Hans Urs von Balthasars (†1988) zeigt, kann man auch heute noch diese im 11. Jahrhundert entstandene Sicht auf das Kreuz Jesu haben.

Bei mir bleiben dann aber innere Widerstände – und Anfragen: Hätten ohne Christi Tod wirklich alle Menschen die ewige Verdammnis verdient? Bedarf Gott erst eines Opfers, um ihnen zu vergeben? Was ist das für ein Gott, der sich besänftigen lässt vomgrausamen Tod seines Sohnes? Kann einer überhaupt für die moralische Schuld eines anderen geradestehen? Und hat Jesus dann nicht nur gelebt, um am Kreuz zu sterben?

Ich komme nicht umhin, so zu fragen. Denn wenn der Kreuzestod Jesu mich erlöst haben soll, dann muss ich doch von dieser Erlösung auch schon etwas spüren können. Der Himmel kann warten. Was ist hier und jetzt mit meinen Ängsten, mit meiner Frage nach dem Sinn und Ziel des Lebens? Hat Jesu Tod mir dazu etwas zu sagen?

Vor mehr als vierzig Jahren hat Hans Kessler (*1938) klargestellt, dass nicht erst der Opfertod Jesu Gottvater sozusagen dazu bewege, dem Menschen seine Schuld zu vergeben und ihn liebevoll anzunehmen. Vielmehr verkündete Jesus ja schon in Wort und Tat, dass Gott es gut mit uns meint. Für seine Botschaft – die jede Kurzformel weit übertrifft – ging Jesus bis zum Äussersten und nahm auch den eigenen Tod in Kauf. Wäre er ihm ausgewichen, dann hätte seine gesamte Verkündigung auf einen Schlag ihre Kraft und Glaubwürdigkeit verloren. So aber bürgt das Kreuz Jesu für seine Botschaft. Und insofern stimmt: Durch das Kreuz sind wir erlöst. Jesus Christus ist für uns gestorben. Aber zuvor hat er auch für uns gelebt! Angesichts von Leben, Tod und Auferstehung Jesu kann ich glauben: Gott offenbart in Christus, wie er ist – und ihn so kennenzulernen, erlöst und befreit.

Auch hier könnte man natürlich nachfragen: Darf es mit der Versöhnung wirklich so einfach sein wie im Gleichnis vom barmherzigen Vater (Lk 15)? Ist das noch gerecht?

Bei dieser Frage setzt neuerdings ein dritter Versuch zum Verständnis des Kreuzestodes Jesu an. Es geht um das Theodizee-Problem: Wenn Gott gut ist und die Welt geschaffen hat, warum gibt es dann so viel unschuldiges Leiden? Den Theologen Ottmar Fuchs (*1945) und Magnus Striet (*1964) zufolge wusste Gott, dass es in der Welt von Menschen und von der Natur verursachtes Leid geben könnte. Trotzdem entschied er sich für ihre Erschaffung – und wurde so mitverantwortlich für die Qualen der Menschheit. Um diese seine eigene Schuld zu sühnen und die Vergebung vom Menschen zu erbitten, litt und starb er in Jesus Christus am Kreuz.

Gott entgegnet der Theodizee-Frage also ein Schuldeingeständnis: «An seiner Antwort wird bereits zu erfahren sein, dass Leid nur mit dem ‹aufgewogen› werden kann, was es selber ist, auch auf der Seite des Schöpfers und hier mit seinem substanziellen Mitleiden. Unterhalb dieses Niveaus kann es keine befriedigende Antwort Gottes auf die Klagen der Opfer geben.» (O. Fuchs)

Fuchs und Striet stellen die traditionelle Kreuzestheologie provokant auf den Kopf und rütteln an meinem Gottesbild. Auf einmal wirkt der Allmächtige fehlbar und bedürftig, angewiesen auf ein Menschenwort. Vielleicht ist da schon etwas dran. Gewiss sehnt sich Gott nach Versöhnung und wahrscheinlich bedauert er die Mängel der Schöpfung.

Aber ich weigere mich zu fordern, dass zu dem vielen Leid noch mehr hinzukommt. Niemand soll erst leiden müssen, bevor ich ihm vergebe. Versöhnung ist sehr wertvoll, aber sie hat keinen Preis. Es genügt, aufrichtig um sie zu bitten.

Lag nicht darin die Grösse der erlösenden Botschaft Jesu?

 

Zum Weiterlesen
Hans Kessler, Erlösung als Befreiung, Düsseldorf 1972, 130 Seiten (antiquarisch erhältlich). Magnus Striet, Jan-Heiner Tück (Hrsg.): Erlösung auf Golgota? Der Opfertod Jesu im Streit der Interpretationen, Freiburg im Breisgau: Herder-Verlag 2013, 180 Seiten, ca. 15 Fanken (zzt. vergriffen).

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