Wenn die Schulden erdrückend sind. Symboldbild: iStock/Christian Horz

Als Mensch zu Menschen gehen

Gespräch mit einem Betreibungsbeamten.

Jürg Niederhauser besucht im Namen des Betreibungsamtes Personen, die ihre Rechnungen nicht bezahlen können. Wie er dazu kam, und ob die Corona-Krise für Überstunden sorgt, erzählt er dem «pfarrblatt».

Autorin: Christina Burghagen l Foto: zVg

Wenn er klingelt, kommt auf der anderen Seite der Wohnungstür selten Freude auf. Jürg Niederhauser ist Aussendienstmitarbeiter des Betreibungsamts Emmental-Oberaargau. Seine Aufgabe: schuldig gebliebenes Geld einfordern. Manche Besuche seien ähnlich willkommen wie eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt. «Ich möchte als Mensch zu Menschen gehen», heisst sein Credo – das stütze ihn bei der gemeinsamen Suche nach Lösungen.

Aufgewachsen ist der heute 50-Jährige in Hasle-Rüegsau. «Nach der Schule lernte ich Bäcker-Konditor, aber das war brotlos», erzählt er schmunzelnd und spielt dabei auf den geringen Lohn und die Arbeitszeiten an. So führte ihn die nächste berufliche Station als Miterzieher ins SAZ Burgdorf, dem Schulungs- und Arbeitszentrum für Menschen mit Behinderung, wo auch sein Bruder beschäftigt war. Später setzte Niederhauser eine Ausbildung als eidgenössisch anerkannter Justiz-Fachangestellter drauf und arbeitete in der Justizvollzugsanstalt Thorberg. Die Aufgabe, gestrauchelte Menschen im Gefängnisalltag zu begleiten, habe ihn gereizt. Die Sensibilität für Menschen habe er sich nicht zuletzt durch die enge Beziehung zu seinem Bruder erworben, der mit dem Gendefekt Trisomie 21 zur Welt kam, vermutet Jürg Niederhauser. Mit den Inhaftierten habe er kaum Probleme gehabt, doch das Arbeitsklima behagte ihm nicht.

Der Familienvater sah sich nach einer lukrativeren Beschäftigung um. Im Aussendienst einer Bouillon- und Gewürzfirma bekam er allerdings kein Fixum, sondern nur die Provision auf verkaufte Ware – ein permanenter Stress. Nach elf Jahren war Schluss mit Bouillon. Der inzwischen 48-Jährige entdeckte eine Ausschreibung für eine Stelle als Sachbearbeiter beim Betreibungsamt. «Meine Erfahrungen in Thorberg, im SAZ als Miterzieher plus Glück haben mir geholfen, eingestellt zu werden», resümiert Niederhauser.

Dass in die Anfänge seiner Dienstzeit eine Pandemie fällt, hätte er nie gedacht. Im März 2020 habe er das Virus noch unterschätzt. Erst, als der Bundesrat für die Betreibungsämter während rund zwei Wochen einen «Rechtsstillstand» bestimmte, wusste er, dass sich etwas sehr Ernstes anbahnt. Dazu fielen auch die Betreibungsferien in den Lockdown, so dass Niederhäuser viel Zeit für sein Rennrad hatte. «Meine Kollegen und ich rechneten mit viel Arbeit aufgrund der Verdienstausfälle im Lockdown.» Doch bis jetzt sei es ruhig geblieben. Die Zahl der Fälle steige schleichend, denn zunächst würden die Menschen in der Familie finanziellen Rückhalt suchen oder Privatkredite aufnehmen.

Mittlerweile kämen mehr Menschen in Geldnot. Alleinerziehende ohne Unterhalt, weil der Ex-Partner pandemiebedingt seine Arbeit verloren habe, oder die geschlossene Kneipe keine Teilzeitkräfte mehr brauche. Ältere Menschen sparen sich die Krankenkasse, weil die Rente mager ist und die Kinder nicht mehr einspringen können. Betroffen seien oft Gastrobetriebe, die ihren Weihnachtsumsatz einbüssen mussten. «Ich vermute, dass der Ansturm im Frühling losgeht», erklärt Jürg Niederhauser. Der Hauptanteil seiner Klientel bilden Privatleute. Steuerschulden und unbezahlte Krankenkassenprämien seien die Klassiker. «Wir können nicht beurteilen, ob die Steuerforderungen rechtens sind. Das ist nicht unsere Aufgabe.» Jürg Niederhauser würde es begrüssen, wenn Steuern und Krankenkasse vom Lohn abgezogen würden wie in anderen Ländern.

Die Besuche laufen meist friedlich ab. Dass er nicht willkommen ist, nimmt er nicht persönlich. Die meisten Kunden hätten Verständnis für seinen Job: «Unsere Arbeit ist wichtig, damit die Leute begreifen, dass man seine Rechnungen zahlen muss», fasst Niederhauser die Bedeutung seines Berufsstandes zusammen. «Manchmal möchte ich mich lieber um die Menschen kümmern als ums Geld. Aber wenn bezahlt wird, ist mein Job vorbei.»

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