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Anderen, die –

Ob jüdisch, muslimisch oder christlich: die Argumente konservativer Religionsvertretender sind dieselben.

Das neuste Schreiben des Papstes, «Fratelli tutti», wird aktuell auf allen katholischen Kanälen rege diskutiert. Manche finden es eine revolutionäre Schrift, die eine moderne Haltung im Angesicht des Versagens so zahlreicher gesellschaftlicher Institutionen an den Tag lege. Andere finden die Enzyklika unlesbar, eine polemische Streitschrift ohne Konzept. Wie dem auch sei – ein Umstand bleibt interessant. Der Papst führt an einigen Stellen einen Repräsentanten des Islams als Inspiration an: den Imam Ahmad al-Tayyib, einen Islamgelehrten und eine Autorität des sunnitischen Islams.

Interreligiöser Dialog war schon immer ein Kernanliegen von Papst Franziskus. Bei zahlreichen Gelegenheiten betonte er Gemeinsamkeiten des christlichen Glaubens mit anderen Religionen. Ein Novum selbst für ihn ist, sich in einer päpstlichen Enzyklika so intensiv mit einer Stimme des Islams auseinanderzusetzen – so zitiert er mehrmals aus einem Dokument, welches er gemeinsam mit al-Tayyib verfasst hat.

Al-Tayyib ist jedoch kein radikaler Verfechter des interreligiösen Dialogs, der allen Religionen mit vorbehaltloser Liebe begegnet. So stellte er in einem Interview zwar fest, dass Christ*innen Muslim*innen «die Nächsten in Liebe» seien. Daraufhin legte er dar, wie das Judentum überheblich sei und sich für überlegen halte: eine Gefahr für alle anderen Religionen.

Gleiche Töne erklingen aus der christlich-konservativen Ecke, wenn es um den Islam geht. Dieselben Argumente werden hervorgebracht, mit vertauschten Rollen – der Islam halte sich für eine «überlegene Religion» und wolle das Christentum verdrängen, das Judentum hingegen sei unser Bruder im Geiste. Würde das konservative Judentum verlauten lassen, der Islam sei sein Bruder, das Christentum hingegen eine radikale Gefahr, wäre der Kreis geschlossen. Jede konservative Stimme, egal welcher Provenienz, wird immer dasselbe sagen. Mit ihrer konservativen Gegenseite konfrontiert, wird sie kundtun: Natürlich sagen die dasselbe wie wir – aber wir haben tatsächlich recht.

Sebastian Schafer

«Katholisch kompakt» im Überblick

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