Jean Vanier (1928-2019). Foto: larche.org

«Arche»-Gründer Jean Vanier ist tot

Jeder Mensch hat Talente, die er mit anderen teilen kann

Jean Vanier, Gründer der christlichen «Arche»-Gemeinschaften, in denen Menschen mit und ohne geistige Behinderung zusammenleben, ist im Alter von 90 Jahren gestorben.

Laut einer Mitteilung der Gemeinschaft starb der durch eine Krebserkrankung geschwächte Vanier in der Nacht zum 7. Mai im Kreis nahestehender Personen in seiner Arche-Gründung in Paris.

Kriegserlebnisse

Jean Vanier kommt im September 1928 in Genf als viertes Kind einer Diplomatenfamilie zur Welt. Sein Vater vertritt Kanada beim Völkerbund, dem Vorläufer der UNO. Die Familie ist katholisch, Jean besucht jesuitische Schulen. Der Vater arbeitet mal in Genf, dann in Frankreich, Grossbritannien oder Kanada.

Die Familie ist sozial sehr engagiert, die Mutter betreut nach dem Ende des 2. Weltkrieges Überlebende von Konzentrationslagern, Jean besucht sie und schreibt später, dass er diese Menschen nie mehr vergessen habe.

Schon früh zieht er von zu Hause aus. Bereits mit 13 wagt er 1941, also mitten im Krieg, die Überfahrt von Kanada nach Grossbritannien, wo er eine Marineausbildung beginnt. Die Unterstützung und das Vertrauen der Eltern, vor allem des Vaters, waren im stets gewiss. Ein Umstand, er ihn für das ganze Leben enorm prägen sollte. Er habe sich darum immer selbst vertrauen können, schreibt er später.

Philosophieprofessor und Hierarchie-Zweifler

Jean Vanier wird Marineoffizier, verrichtet in der rauen Welt des Militärs und der Kriegsschiffe seinen Dienst. Eine Lourdeswallfahrt lässt in ihm den Wunsch wachsen, Priester zu werden. Er unternimmt einige Anstrengungen, zweifelt aber schliesslich an der Hierarchie. Vanier studiert Philosophie, Theologie, promoviert und wird Professor für Philosophie in Toronto.

1964 dann folgt eine erneute Wende. Er besucht einen befreundeten Dominikanerpriester nördlich von Paris. Dieser wirkt als Kaplan in einer Einrichtung für Männer mit geistigen Beeinträchtigungen. Philosophieprofessor Vanier war entsetzt. 80 Männer hausten zwischen hohen Betonmauern, ohne Beschäftigung und Zuwendung in dieser Einrichtung.

Der Neubeginn

Kurz entschlossen kauft er im Dorf Trosly-Breuil ein altes Haus, zwei Männer aus dem Heim lädt er ein, mit ihm zu wohnen. Sie leben fortan zusammen, wie eine Familie. Vanier gibt dem Projekt den Namen «Arche» («L’Arche»). Es spricht sich herum, dass hier geistig handicapierte Menschen ganz anders betreut und behandelt werden. Menschen, Freunde und Besucher*innen werden inspiriert, ziehen selbst nach Trosly-Breuil oder gründen «Archen». Heute gibt es weltweit rund 154 «Archen» mit rund 5000 Mitgliedern in 38 Ländern.

Träger des Templeton-Preises

Jean Vanier wird nie Priester. Er lebt ein zölibatäres Leben, hält Vorträge, schreibt Bücher. Er trifft Kirchen- und Religionsoberhäupter, tauscht sich aus und propagiert seine Idee der «tätigen Spiritualität». 2015 erhält er den Templeton-Preis für Verdienste um die Menschlichkeit. Die Auszeichnung gehört mit umgerechnet rund 1,5 Millionen Euro Preisgeld zu den höchstdotierten im Bereich Religion und Spiritualität. Zu den Preisträgern gehörten zuvor auch der Dalai Lama (2012), der südafrikanische Bischof Desmond Tutu (2013) sowie Mutter Teresa (1973).

Interreligiöse Öffnung

Allmählich gibt Jean Vanier die Leitung der «Arche» ab. Was als sehr katholisches Projekt begann, ist heute eine weltumspannende, interreligiöse Institution. «L’Arche Internationale» wird seit 2017 von Stephan Posner (Directeur général) und von Stacy Cates-Carney (Vice-responsable international) geführt.

«Menschen mit Behinderung haben der Welt etwas zu geben.»

Jean Vanier verbrachte seine letzten Lebensjahre auf dem Gelände der ersten «Arche»-Gemeinschaft in Trosly-Breuil, rund 75 Kilometer nördlich von Paris. Im Oktober 2017 erlitt er einen Herzinfarkt und überstand eine Operation. Bis Februar verordnete er sich eine komplette Pause. «Menschen mit einer Behinderung, speziell mit einer intellektuellen, haben der Welt etwas zu geben und zu sagen», sagte Vanier einmal in einem Interview. «Sobald wir mit ihnen in Beziehung treten, beginnen wir, uns zu verwandeln.»

Andreas Krummenacher, mit Material von kath.ch/cic


Hinweise
In der Schweiz leben 65 Personen mit und ohne einer kognitiven Beeinträchtigung in den «Arche»-Wohngemeinschaften in Dornach (SO), Fribourg und Versoix (GE).
«Arche» Schweiz
Internationale Webseite der «Arche

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