Im HRU müsse man Mut haben und ausprobieren, findet Fernanda Vitello. Foto: Pia Neuenschwander

Auf Augenhöhe

Fernanda Vitello zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung

Fernanda Vitello, fachliche Mitarbeiterin bei der Fachstelle Religionspädagogik, ist verantwortlich für den «Heilpädagogischen Religionsunterricht» (HRU). Jeder Mensch, egal mit welcher Beeinträchtigung, habe ein Recht auf spirituelle Begleitung, sagt sie im Gespräch.


Interview: Andreas Krummenacher

 

«pfarrblatt»: Gibt es Zugangskriterien für den HRU?

Fernanda Vitello: Der HRU ist für alle offen. Wir begleiten Kinder und Jugendliche mit leichten Lerneinschränkungen bis hin zu Menschen mit schwerer körperlicher und/oder geistiger Behinderung. Sehr häufig findet der HRU in den Institutionen im Kanton statt, wo die jungen Menschen die Schule besuchen. Die Eltern können sich direkt bei der Katechetin oder über die Fachstelle melden, wenn sie für ihr Kind Religionsunterricht wünschen. Wir lernen die Kinder kennen und versuchen so, individuell herauszufinden, was möglich ist.

Wie kann HRU ganz konkret aussehen?

HRU ist zunächst ganz normaler Religionsunterricht. Speziell ist, dass wir das Tempo und die Menge des Inhalts reduzieren, wir müssen den Fokus auf die Hauptaussagen legen. HRU ist oft Repetition. Es sollten alle Sinne einbezogen werden. Unser Ziel ist es, einen Zugang zum Kind zu finden und immer wieder gemeinsam Momente der Spiritualität zu erleben. Geschichten erzählen wir so, dass sie fühl- und erlebbar werden. So versuchen wir, eine Brücke zu religiösen und spirituellen Inhalten zu schlagen. Wir müssen flexibel und sensibel sein. Jeder HRU ist auch eine Herausforderung.

Hat der HRU Wirkung?

Von Betreuer*innen habe ich schon gehört, dass sie den heilpädagogischen Unterricht in ihren jeweiligen Institutionen nicht missen möchten. Es gebe Kinder, die sich darauf sehr freuen würden. Ich stelle fest, dass die Kinder nach der HRU-Stunde oft entspannt sind. Es tut ihnen gut. Beim HRU geht es letztlich darum, das Bedürfnis des Angenommen- und Getragenseins zu stillen. Wenn das gelingt, sind die Kinder natürlich glücklich. Es ist nie nur heile Welt. Es gibt schwierige Situationen und Unterrichtsstunden, die nicht gelingen.

Wie ist das mit Erstkommunion oder Firmung?

Bei den Sakramenten arbeiten wir oft integrativ, in den Pfarreien mit den anderen Erstkommunionkindern. Wie die Integration konkret aussieht, ist jeweils individuell verschieden, auf die Bedürfnisse aller abgestimmt. Das Erstaunliche ist, dass bei den Beteiligten die Erkenntnis bleibt, dass es möglich ist und auch Freude macht. Es wird nie perfekt funktionieren, und das muss es auch nicht.

Die Kinder in Regelklassen zu integrieren, ist häufig auch ein Wunsch der Eltern. Es gibt viele positive Beispiele, von denen ich gar nie etwas erfahre, weil es eben gut funktioniert.Es geht um die Erfahrung: Wir sind eingeladen, wir sind willkommen, wir dürfen. Die Sakramente sind uns allen ein Geschenk, bedingungslos. Wir brauchen alle diese Stärkung.

Welche Rolle kann die Kirche gesellschaftlich hier spielen?

In der leistungsorientierten Gesellschaft schwindet die Akzeptanz von Menschen mit Einschränkungen zusehends. Die Stärke der Kirche ist es, dass alle Menschen willkommen sind. Wir sollten also die Integration weiter unterstützen und uns auch in die politische Debatte einbringen. Gott hat den Menschen als Mann und Frau geschaffen, das lesen wir in der Bibel. Es gibt keinen Zusatz, wie dieser Mensch zu sein hat. Jeder Mensch hat seine ganz eigene Berechtigung. Die Begegnung findet auf Augenhöhe statt.

Was bedeutet Inklusion in einfachen Worten?

Inklusion ist ein Fernziel. Man bezeichnet damit eine Haltung. Wenn alle Menschen integriert sind und es selbstverständlich ist, dass man nicht mehr nach Defiziten sucht, dass man also die Spracheinschränkung oder den Rollstuhl nicht mehr beachtet, sondern einfach nur den Menschen anschaut, wertschätzt, teilhaben und selbstbestimmen lässt, dann ist Inklusion verwirklicht.

 

Hinweise
Dienstag, 3. Dezember: Welttag der Menschen mit Behinderung. Der Fokus liegt auch in diesem Jahr auf der Inklusion.
Sonntag, 8. Dezember, 11.45, Berner Münster, ökumenischer Adventsgottesdienst «Licht kann man verschenken», mitgestaltet von Schüler*innen aus dem heilpädagogischen Bereich. Es sind alle eingeladen.
Sonntag, 19. Januar 2020, ökumenischer inklusiver Pfarreigottesdienst in St. Marien, Bern.



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