Rekonstruktion der historischen Schlacht von Hattin unter realen Bedingungen.
Fotos: Yelena Lena

Bei 40 Grad schmolz das christliche Königreich Jerusalem dahin

Am 4. Juli 1187 fand bei den Hörnern von Hattin die große Schlacht zwischen den Kreuzrittern und Sultan Saladin statt. Geschichtsfans in Israel stellen die Ereignisse originalgetreu nach.

Am 4. Juli 1187 fand bei den Hörnern von Hattin – unweit der Stadt Tiberias am See Genezareth – die grosse Schlacht zwischen den Kreuzrittern und Sultan Saladin statt. Israelische Historiker, Studenten und Geschichtsfans versuchen, das Kampfgeschehen jeweils am gleichen Datum nachzuspielen – in authentischen Bedingungen und Kleidern.

Das Omen des Untergangs streckt den Besucher nieder, sobald er die heutigen benzinbetriebenen Kutschen verlässt: raus aus dem klimatisierten Auto, in die sengende Sonne bei nahezu vierzig Grad, knapp nach der Mittagsstunde. Zu Fuss geht es die letzten hundert Meter auf einem staubigen Feldweg hinauf zu den zwei wie niedrige Kamelhöckern aufragende Hörnern von Hattin. Eine Anhöhe westlich und oberhalb des Sees Genezareth, entlang der Verbindungsstrasse nach Nazareth. Es gibt Pläne der Regierung, die Umgebung mit günstigem Wohnraum zu bebauen, denn Landwirtschaft ist nicht möglich, und wertvolle Ausgrabungen gibt es auch nicht; eine verlassene Ecke. Wären da nicht die beiden Hügel, an denen Kirchengeschichte, der Nahe Osten, ja das ganze Verhältnis zwischen Abend- und Morgenland neu geschrieben wurde: die Hörner von Hattin. Der Untergang der Kreuzfahrerreiche.

Inszenierung der Niederlage

Um wenige Kriege der letzten zweitausend Jahre rankt sich ein solcher Mythos wie um die Kreuzzüge. In Sagen, Legenden, Mittelalter-Romanen bis hin zu Hollywood-Blockbustern hat man sich des kirchlich-europäischen Abenteuers, unter dem Zeichen des Kreuzes Jerusalem zu erobern, angenommen. An den Hörnern von Hattin suchten die Kreuzfahrerstaaten die Entscheidung, um dem sie umschliessenden Heer des Sultans Saladin den Garaus zu machen. Stattdessen kam es umgekehrt. Ihre Niederlage am 4. Juli 1187 ist die Wasserscheide der europäischen Präsenz im Heiligen Land: Wäre der Muslim Saladin damals geschlagen worden, hätten die gestärkten Kreuzfahrer keinen Gegner in der Umgebung mehr gehabt, die politische und religiöse Landschaft in der Region sähe heute vielleicht ganz anders aus.

Die Schlacht steht für das Ende des christlichen Königreichs Jerusalem als Beispiel westlicher Überheblichkeit, religiöser Verblendung und Führungsversagens der Eliten. Genügend Gründe also für israelische Historiker und Geschichtefans, die Schlacht möglichst authentisch nachzuspielen: Mit kiloschweren originalen Eisenrüstungen und Schwertern, zu Pferd und zu Fuss, in der Mittagssonne im Juli 2017. «Regnum Hierosolymitanum» heisst dieser Verein, der jedes Jahr die Schlacht an den Hörnern so getreu wie möglich inszeniert, inklusive vorgängiger zweitägiger Wanderung vom Westen her zur Schlachtstätte, auf der Suche nach Wasserlöchern, wie es damals die Kreuzfahrer tun mussten, um schliesslich bei Höchsttemperaturen ausgetrocknet von Saladins Heer eingekesselt und aufgerieben zu werden.

Gegen Geschichtsvergessenheit

«Die Bilder, die wir von den Kreuzzügen und solchen Schlachten haben, sind von Filmen wie ‹Königreich im Himmel› geprägt. Diese dramatischen Hollywoodfilme haben aber mit der damaligen Wirklichkeit nichts zu tun. Diese war weniger pompös, einfacher und vor allem härter», beschreibt Genadiy Nizhnik, Kurator des Anlasses, die Motivation der rund 50 Leute, die sich jedes Jahr einfinden. Ziel dieses Nachspielens ist das Verstehen von Geschichte nicht nur durch das Lesen von Büchern, sondern durch die möglichst exakte Inszenierung der Ereignisse ein tieferes und realistisches Verständnis für die Geschichte zu erhalten. Dazu gehört auch die Bewahrung der Stätte als historischer Ort. Die heutige «Schlacht» wird gegen den israelischen Staat geführt, der genau an dieser Stelle eine neue Ortschaft mit 2500 Wohneinheiten bauen will: «Kriminelle Geschichtsvergessenheit» nennt dies Nizhnik.

«Allahu Akbar» vs. «Deus lo vult»

Er und seine «Truppen» machen sich bereits zwei Tage vorher zu Fuss oder zu Pferd von der Wasserquelle in Sepphoris auf den Weg zum historischen Schlachtfeld – in voller historischer Montur. Am Abend verspeisen sie beim Licht von Öllampen mittelalterliche Mahlzeiten, als Geschirr werden Ton- und Steingefässe verwendet. Übernachtet wird in extra hergestellten Stoffzelten. Höhepunkt der drei Tage bildet schliesslich die Schlacht auf dem Feld. Hoch zu Ross oder als einfacher Kämpfer zu Fuss ziehen das muslimische Heer und die Kreuzritter gegeneinander ins Feld, schlagen mit Schwertern aufeinander ein oder schiessen mit Steinschleudern und Pfeilen in Richtung der Gegner. Die durchgängig russischsprachigen gegenseitigen Beschimpfungen werden durch «Allahu akbar»-Rufe (Gott ist gross) von den Muslimen oder «Deus lo vult»-Rufe (Gott will es) der Kreuzritter unterbrochen. Bekanntlich wendete sich das Blatt schnell zugunsten Saladins, das heilige Kreuz Christi, das der Kreuzfahrerkönig Guy de Lusignan zur Unter- stützung mitgebracht hatte, fiel dem muslimischen Heer in die Hände. Die Schlacht war entschieden, das Ende war eingeläutet für Outremer – diese christlichen Gewaltstaaten auf der anderen Seite des Meeres.

Oliver Schneitter, Jerusalem

 

Mehr zum Thema und Tipps

Die Schlacht bei den Hörnern von Hattin war eine Entscheidungsschlacht. Die Verluste konnten die Kreuzfahrer nicht mehr ausgleichen. Nie wieder, schreibt der Historiker Martin Hoch, gewannen sie «eine vergleichbare territoriale Basis wie vor Hattin, die es ihnen ermöglicht hätte, ihrer Herrschaft im Orient Dauer zu verleihen». Ein spannend geschriebener Hintergrundartikel in der «Welt online»! 

Aussergewöhnlich: Die Geschichte der Kreuzzüge als Bildgalerie, ebenfalls auf «Welt online».

Der Film kommt bei den israelischen Historikern im Artikel zwar nicht gut an. Mir gefällt er ausserordentlich gut. Darum Filmtipp: Königreich der Himmel, USA 2005, 135 Minuten, Regie: Ridley Scott, mit Orlando Bloom, Ghassan Massoud, Eva Green, Jeremy Irans u.a. Hier gibt es einen Trailer dazu.

Wenn wir schon beim Schauen sind. Wer nicht lesen will, kann sich hier über die Kreuzzüge in der ZDF Mediathek informieren.

Zum Schluss ein Buchtipp. Die Literatur zum Thema ist unendlich. Sehr eingängig, verständlich, bisweilen etwas anekdotisch, dadurch aber nie langweilig: Thomas Asbridge, Die Kreuzzüge, Verlag Klett-Cotta, 7. Auflage, Stuttgart 2016.
Er schildert die politischen und religiösen Beweggründe, macht die immense Logistik deutlich, schildert Belagerungen, Eroberungen und entwirft lebendige Porträts von Saladin über Richard Löwenherz bis hin zur Jerusalemer Königin Melisende. Aspridge weiss auch von freundlichen Begegnungen zwischen Kreuzfahrern und Sarazenen zu berichten: Es gab mitunter religiöse Toleranz und Zeugnisse der Freundschaft über die feindlichen Lager hinweg.

Redaktion: Andreas Krummenacher

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