Foto: iStock/bbtomas

Bereicherung von jüdischer Seite

Gabriel Strengers spiritueller Leitfaden auch für Nicht-Juden

Im jüdischen Gebetbuch, welches Gabriel Strenger in einem spirituellen Leitfaden auch für Nicht-Juden erschliesst, beginnt der Morgen mit dem Innewerden, dass Gott mir meine Seele wiedergegeben hat. Offenbar geschieht das jeden Morgen wieder aufs Neue. Folge ich dem Morgengebet, realisiere ich also zuerst: Ein neuer Tag ist mir gegeben, ich bin am Leben und bin lebendig. Und ich bin in Verbindung mit dem göttlichen Kraftwerk des Lebens: «In Barmherzigkeit hast du mir meine Neschama wiedergegeben.» Hier unterscheidet das Judentum zwischen der Leibseele, der Nefesch, die auch während des Schlafes aktiv ist: Der Atem, der Herzschlag und all die autonomen Systeme des Leibes funktionieren und so auch das Träumen des Geistes. Wenn ich aber vom Schlaf erwache, wird auch die Herzensarbeit wieder möglich, die mich mit der Neschama verbindet, die mir täglich neu geschenkt wird: «Du Gott bist mir treu und lässt mich täglich wieder zum Leben auferstehen. Und du vertraust mir, traust mir zu, dass ich meinen Tag sinnvoll und in inniger Nähe zu dir leben kann.»

Nach der Eröffnung wird im Morgengebet zuerst für die Funktionen des Leibes gedankt, für dieses Kunstwerk mit seinen Öffnungen und Höhlungen und dem komplexen Zusammenspiel, was mir auch seine Zerbrechlichkeit bewusst macht.

Dann folgt der Dank für die Seele, die Gott erschaffen und mir eingehaucht, sie in mir behütet und sie mir zukünftig nehmen und sie mir in der Zukunft wiedergeben wird. Strenger schreibt dazu: «Ich bringe mir zu Bewusstsein, dass ich eines Tages sterben werde ... und lebe im Vertrauen, dass meine Seele in der Kette des Lebens weiter- besteht, selbst wenn die genaue Art, wie dies geschehen wird, für mich unfassbar ist.»

Der nächste Schritt ist der Dank für die Tora und führt Richtung menschliches Tun.

Ich erlebe es als grosse, belebende Bereicherung, eine so tiefgehende Anleitung zum Verstehen von Glaubenspraxis der jüdischen Schwester-Religion in die Hand zu bekommen. Eine Kostbarkeit für eine interreligiöse Ökumene.

Ingrid Zürcher, ref. Seelsorgerin


Der Titel des erwähnten Buches:

Gabriel Strenger, Die Kunst des Betens, Morascha Verlag, 2019. Fr. 49.–

Kolumnen aus der Inselspitalseelsorge im Überblick

Diese Website nutzt Cookies. Durch die weitere Nutzung der Site stimmen Sie deren Verwendung zu und akzeptieren unsere Datenschutzrichtlinien.