Bericht liefert Klarheit über Missbrauchs-Fälle im Institut Marini

Freiburg i. Ü., 26.1.16 (kath.ch) Mit sichtlich bewegter Stimme und am Rande Tränen empfing der Westschweizer Bischof Charles überlebende Missbrauchsopfer aus dem kirchlichen Knaben-Institut Marini am Dienstag. 26. Januar. Bei dem Anlass wurde im Bischofssitz ein Bericht über Missbrauch im Knabeninstitut der Öffentlichkeit vorgestellt. 21 Missbrauchsfälle wurden nachgewiesen.

Der Westschweizer Bischof wünschte, dass Klarheit in die Vorfälle im Institut Marini in Montet FR kommt. Er trug einer Forschungsgruppe auf, die Fälle von Missbrauch zu eruieren und abzuklären, warum die meisten Täter ungeschoren davonkamen. Vergangenes Jahr rief das Bistum Zeugen auf, sich zu melden. Der Mitautor der Studie, Pierre Avvanzino, ehemaliger Professor an der Hochschule für Soziale Arbeit und Gesundheit (EESP) in Lausanne, erläuterte in Freiburg, dass 14 Zeugen befragt werden konnten. Die Forschergruppe schreibt nun, dass in der Periode von 1929 bis 1955, als das Institut Marini der direkten Verantwortung des Bistums unterstand, 21 sexuell missbrauchte Kinder und Jugendliche und elf Täter nachgewiesen werden können. Zu letzteren gehören zwei Priesterdirektoren und zwei Institutsgeistliche. Einer der Geistlichen sowie ein Laienaufseher wurden verurteilt.  

Opfer bewusst ausgewählt
Die meisten Täter kamen ungestraft davon, heisst es im Bericht. Nachgewiesen werden können Misshandlungen sowie schwerwiegende und wiederholte sexuelle Missbräuche. Im Bericht ist von Vergewaltigung die Rede. Die Täter hätten "im allgemeinen platzierte Kinder aus besonders heiklen sozialen und familiären Verhältnissen" ausgewählt. Es habe sich um Knaben gehandelt, die im Alter von zehn bis 14 Jahren im Institut aufgenommen wurden. In diesem Alter seien Kinder ohne Schutz, führte in Freiburg die Historikerin Rebecca Crettaz aus, die ebenfalls für die Studie verantwortlich ist. "In diesem Alter befinden sie sich in einer schwierigen Phase, die von physischen und psychischen Veränderungen geprägt ist und ihre Verwundbarkeit durch erwachsene Raubtiere erhöht."
Die freiburgische und die schweizerische Gesellschaft hätten damals die Stigmatisierung der Armut und die Ächtung der platzierten Kinder gefördert, betont der Bericht. Der Gesellschaft seien Missbräuche und Misshandlungen an diesen Kindern gleichgültig gegenüber gestanden. Die Stigmatisierung sei noch grösser gewesen, wenn es sich um uneheliche Kinder handelte. Diese Kinder stellten einen grossen Anteil der platzierten Kinder im Institut.  

Schande, Schmerz und Abhängigkeit
Viele Kinder und Jugendliche mussten arbeiten, um Geld für das Institut zu erarbeiten. Harte Arbeit sowie ein strenges Disziplin- und Strafsystem, "das an Misshandlung grenzt", prägten gemäss dem Bericht den Alltag des Instituts. Die Supervision des Instituts Marini durch den Direktionsvorstand, dem drei Bischöfe, ein Mitglied des Freiburger Staatsrates und ein Jurist angehörten, sei "eher nachlässig" gewesen. "Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist die Schule eine der letzten Bollwerke, wo Gewalt Kinder gegenüber ausgeübt wird", heisst es im Bericht. Die betroffenen Kinder und Jugendliche hätten aufgrund von Schande, Schmerz und totalem Verlust von Selbstvertrauen geglaubt, "ihrem Peiniger anzugehören".
In den konsultierten historischen Dokumenten, die über die Verfolgung von Tätern berichten, werde niemals der Schmerz der Kinder thematisiert. Wenn ein Priestertäter versetzt wurde, so fühlte dieser "sich nicht den Kindern, sondern dem Bischof gegenüber schuldig". Die Konsequenzen des Missbrauchs seien tiefgreifend. Der Bericht zählt eine gestörte affektive und sexuelle Entwicklung sowie mehr oder weniger gravierende psychische Störungen auf. Einige Zeugen vermochten dank ihrem Mut und ihrem Lebenswillen und manchmal auch dank ihrer Revolte, diese in der Kindheit erlebten Schwierigkeiten in einen Gewinn für ihr Leben zu verwandeln.

Kritik an Priesterausbildung
Dieses "totale Fehlen von Einfühlungsvermögen" könne nur zum Teil auf die damals mangelhaften psychologischen Kenntnisse der Auswirkungen von sexuellem Missbrauch erklärt werden. Erst die feministische Bewegung habe dazu geführt, dass schliesslich der sexuelle Missbrauch von Mädchen und Knaben Thema wurde. Der Bericht geht streng mit der Priesterausbildung ins Gericht. Die "wesentlich homosozial geprägte Kultur der Seminaristen und Priester sowie der negative Gesichtspunkt der Kirche für die Sexualität sind nicht ohne Einfluss auf eine gewisse affektive Unreife, die am Ursprung gewisser Verhalten stehen", heisst es im Bericht zuhanden des Bischofs von Lausanne-Genf-Freiburg. Wenn ein Missbrauchsfall ruchbar wurde, bemühte sich das Institut, jegliche Publizität zu verhindern. Das Verbundenheitsgefühl unter den Priestern, die sich als Menschen "einer anderen Natur" verstanden, habe zu einer Solidarität und zu einer Mauer des Schweigens geführt, wenn Prestige und Macht der Kirche und der Geistlichen angegriffen wurden.

kath.ch / gs  

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Schweiz aktuell, SRF1, 26.1.2016, 19.00

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