Bei den Proben: An einem langen Tisch sitzt der Hauskreis eines Ehepaars und diskutiert über die Bergpredigt anfangs der 1940er-Jahre.
Foto: Jonathan Liechti/zvg

Berner Theaterensemble Johannes

Wenn Luther überlegt, seine Thesen zu twittern und ein PR-Berater lautstark seinen Senf dazu gibt..

Das Berner Theaterensemble Johannes präsentiert ab 29. Oktober im Rahmen des Reformationsjubiläums sein neues Mundartstück «Lied einer neuen Welt». Die Grundlage liefert der biblische Text der Bergpredigt. Parallel zum Theater wird die Ausstellung «By God’s Grace» gezeigt, die Einblicke in den Alltag der Kirche der Geschwister EYN in Nigeria und das Menschsein unter dem Terror der islamistischen Gruppierung Boko Haram gewährt.

«Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich. Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden ...». Das neue Stück, das am 29. Oktober, 17.00, Premiere feiert, kommt als Theater im Theater daher.

Die Handlung nimmt ihren Lauf, wenn Schauspieler Passagen aus der Bergpredigt rezitieren und zwei Regisseurinnen intervenieren: «Halt, so geht das nicht.» Das Ensemble hinterfragt den Kirchenalltag und träumt von einer neuen, gerechten Welt. Alles verläuft nach Plan, bis der schnöselige PR-Fachmann eingreift und drei Denkmalsockel mit kirchenhistorisch wichtigen Figuren auf die Bühne tragen lässt.

Das lebendige Stück, in dem der PR-Berater dampfplaudernd seinen Senf dazu gibt, schillert in allen Facetten. Denn sowohl Tanzeinlagen, Livemusik als auch Chorgesang werden dem Publikum geboten. Zunächst steht Martin Luther noch als Statue auf dem Sockel, und auch Franz von Assisi thront reglos als Standbild auf der Bühne. Noemi Harnickell weiss, wie eindrucksvoll die jungen Schauspielenden zwischen 10 und 23 Jahren ihr Potenzial auf der Bühne ausschöpfen.

Im Januar wurde das Stück nochmals überarbeitet, bis die Leseproben begannen. Zwei intensive einwöchige Theaterlager und mehrere weitere Proben investierte das junge 30-köpfige Ensemble für die Inszenierung. Plus Chor agieren bis zu 50 Menschen auf der Bühne.

«Es gibt verschiedene, spannende Ebenen, die das Theaterstück zeigt», erzählt die Studentin der Slawistik, die gerade ein Praktikum in der Johannesgemeinde mit Verve fürs Theaterensemble absolviert: «Meine Lieblingspassage ist: ‹Nein, Herr Luther, sie werden in diesem Stück nicht die Hauptrolle spielen. Gehen sie zurück nach Wittenberg!›» Denn der Reformator steigt vom Sockel, geizt nicht mir derben Sprüchen und weiss alles besser.

Franz von Assisi wird ebenfalls lebendig, gibt den Moralapostel. Denn Luther & Co. sind nicht länger bereit, sich zu Heiligen verklären zu lassen. Ständig mischen sie sich in die Diskussion ein. Luther überlegt sogar, seine Thesen zu twittern, weil sie genau die richtige Textlänge dafür haben.

Das Mundart-Theaterstück sucht auf originelle und augenzwinkernde Weise nach Visionen für eine engagierte Kirche in einer multireligiösen Gesellschaft. Seit 2015 unterstützt das Theaterensemble Johannes Friedensprojekte der Kirche der Geschwister EYN in Nigeria. Mitglieder des Ensembles waren zu Besuch in der Hauptstadt Abuja und im Flüchtlingsdorf über Gurku und erarbeiteten eine Ausstellung mit dem Titel «By God’s Grace».

Das fotografische Porträt und die ausführliche Reportage Gurkus blickt Menschen ins Gesicht, die nach Gewalt und Vertreibung durch die islamistische Terrormiliz Boko Haram unbeirrt neues Land bebauen. Die Besucherinnen und Besucher tauchen ein in den bunten Kirchenalltag der EYN-Kirche in Abuja: In Fotos, Zeichnungen, Texten und Klängen begegnet der Betrachtende einer Gemeinschaft, die in der Kirche tanzt und allen Widersprüchen zum Trotz an einen barmherzigen Gott glaubt.

Die Ausstellung wird am 22. Oktober, 17.00, mit einem Referat von Patrik Wülser eröffnet. Wülser war bis vor Kurzem SRF-Afrikakorrespondent und wird ab Ende Jahr die SRF-Auslandsredaktion leiten. Musikalisch umrahmt wird die Vernissage von Kristina und Evelyn Brunner (Cello, Schwyzerörgeli), die unlängst den Kulturförderpreis der Stadt Thun gewonnen haben.

Christina Burghagen

Das Berner Theaterensemble Johannes ist bekannt für seine gesellschaftskritischen und herausfordernden Mundart-Theaterstücke für Jugendliche und Erwachsene. Nach erfolgreichen Produktionen zu Sophie Scholl (2013) oder den Themen Mission, Rassismus und Sklaverei (2015) präsentiert das Ensemble im Herbst 2017 im Rahmen des Reformationsjubiläums seine neue Inszenierung. Das Theaterstück «Lied einer neuen Welt» dauert zirka zwei Stunden und ist für Jugendliche ab 14 Jahren geeignet.
Eintritt zu allen Veranstaltungen frei, Kollekte. Die Kollekte wird für Hilfsprojekte in Nigeria gesammelt. Aufführungen im Berner Kirchgemeindehaus Johannes, Wylerstrasse 5: 29. Oktober, 17.00; 3., 4., 10. November; 19.00; 11. November, 17.00; 12. November, 15.00.
Infos: www.theaterensemble.ch, Reservation: info@theaterensemble.ch, Führungen und Workshops zur Ausstellung auf Anfrage.

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