Herausfordernd. Zwei Religionen, zwei Kulturen, zwei Pläne müssen irgendwie zu einer Lösung führen. Foto: läns / photocase.de

Bireligiöse Paare weisen neue Wege

Ein Team um den Berner Religionswissenschaftler Stephan Huber erforscht die Entwicklung «bireligiöser Paare».

Die Schweizer Religionslandschaft wird komplizierter. Ein Zeugnis davon ist die wachsende Zahl «bireligiöser Paare». Seit anderthalb Jahren erforscht ein Team um den Berner Religionswissenschaftler Stephan Huber die Entwicklung. Er sagt: Gesellschaft und Kirchen müssen sich auf mögliche Konflikte auch innerhalb der religiösen Gemeinschaften vorbereiten.


Von Georges Scherrer, kath.ch


Nach der Reformation sah die Schweizer Religionslandschaft während 450 Jahren klar aus. Es gab einen katholischen und einen reformierten Teil und «jeder machte eigentlich, was er wollte», sagt Stephan Huber, der an der Universität Bern das Institut für Praktische Theologie leitet.

Seit einigen Jahren schon löse sich die klare Situation auf. Es kommen neue religiöse Gruppen. Und vor allem wachse die Zahl der «Konfessionsfreien», die «auch ihre Organisation haben und sagen: Wir müssen die Religion aus der Öffentlichkeit verbannen».

Einher mit den Veränderungen gehe die Zahl der «binationalen Paare» und somit auch jene der «bireligiösen Paare», sagt Stephan Huber. Nicht alle sind verheiratet. Viele leben in Partnerschaften. Und eine Strategie binationaler Paare bestehe darin, der Religion auszuweichen, aber spätestens wenn sich der Nachwuchs einstelle, werde die Frage akut: «Was ist mit der Religion? Wie gehen wir vor?»

Wie soll der Bub nun heissen?

Der Berner Professor für empirische Religionsforschung und Theorie der interreligiösen Kommunikation weist auf die Wahl des Namens hin: Soll der Junge nun Andreas oder Mohammed heissen? Fragen zur Taufe oder Beschneidung stellen sich. Dann muss ein Entscheid her.

Doch bereits zuvor müssen sich bireligiöse Paare mit anderen Fragen auseinandersetzen. Zum Beispiel mit ihrer religiösen Praxis und der damit verbundenen Einbindung in eine religiöse Gemeinschaft. Stephan Huber unterscheidet zwischen «sozialer und personaler Religiosität».

Soziale und personale Religiosität

Soziale Religiosität definiert Huber als die Einbindung in eine Religionsgemeinschaft. «Also, wie oft nehme ich an Gottesdiensten teil? Bin ich religiös erzogen worden? Wie wichtig ist meine Verbindung zu meiner Kirche oder Moschee? Wie viele Verwandte und Freunde habe ich in meiner Religionsgemeinschaft, die mein Beziehungsnetz ausmachen?»

Die personale Religiosität hingegen erklärt sich über Fragen wie: «Wie wichtig ist meine Beziehung zu Gott? Wie intensiv pflege ich sie? Habe ich religiöse Erfahrungen? Wie überzeugt bin ich im Glauben? Habe ich eine private Praxis?»

Spannungsfelder bei bireligiösen Paaren

Das Zusammenspiel von sozialer und personaler Religiosität könne bei bireligiösen Paaren zu verschiedenen Ausprägungen führen. So beobachtet das Team um Professor Huber, dass Personen in einer bireligiösen Partnerschaft zwar eine starke religiöse oder soziale Bindung zu ihrer Religionsgemeinschaft haben, persönlich ihnen aber vieles andere wichtiger sei. Auf der anderen Seite gebe es Leute, die sehr religiös oder spirituell seien, gleichzeitig aber nur einen ganz schwachen Kontakt zur ihrer Religionsgemeinschaft haben.

Der Forscher wagt eine erste Aussage: Wenn bei beiden Partnern die soziale Religiosität sehr hoch ist und die personale schwach, «dann würde ich sagen, dass die Gefahr gross ist, dass es bei einem bireligiösen Paar auf einen unauflöslichen Konflikt zuläuft». Denn sie hätten sozusagen «zwei Familien, zwei Netzwerk». Wenn diese Netzwerke unterschiedliche Erwartungen haben, dann führe das zu Konflikten, schliesst der Religionswissenschaftler.

Selbstbewusste religiöse Abgrenzung

Wenn Leute hingegen eine hohe persönliche Religiosität aufweisen, dann können sie sich von Forderungen von Netzwerken freimachen und selbstbewusst zur eigenen Meinung und zu Entscheidungen stehen.

Mit diesen Beispielen deutet der Forscher an, in welchem schwierigen und konfliktanfälligen Umfeld sich bireligiöse Paare bewegen. Stephan Huber wollte mehr über dieses Spannungsfeld wissen und beantragte beim Schweizer Nationalfonds einen Kredit. Sein Argument: «Diese Paare sind eine Art Laboratorium für eine friedvolle, multireligiöse Gesellschaft.»

Der Fonds gab dem Begehren statt. Mit 300'000 Franken konnte der Professor zwei Doktoranden anstellen und die Zusammenarbeit mit der Universität Freiburg vertiefen. Ende 2019 sollen die Resultate vorliegen.

Kirchliche Normen werden in Frage gestellt

Die betroffenen Paare sind gezwungen, nach Lösungen für ihre Probleme zu suchen. «Es kommt zu Lösungen, auf welche Politiker und Kirchenleute noch gar nicht gekommen sind», stellt Huber fest. Und es komme zu Entwicklungen, die sich etwa auf katholischer Seite «ausserhalb der kirchenrechtlichen Normen» befinden. Das gelte auch für die muslimische Seite. Zusammengefasst heisst dies: «In der Praxis werden neue Wege gegangen.»

Wenn reformierte und katholische Partner heiraten, müssen die Kinder gemäss Kirchenrecht katholisch sein. Die Eltern machten aber, was sie wollten. Im islamischen Bereich ist es so, dass eine Muslima einen Nichtmuslimen nicht heiraten darf. Die Daten des Bundesamtes für Statistik zeigten aber auf, dass eine ganze Menge muslimischer Frauen Nichtmuslime heiraten. Die religiösen Normen würden durch die bireligiösen Paare aufgemischt.

Mittelfristig sieht der Forscher eine Veränderung dieser Normen. Die katholische Kirche werde diese Ehen im Kirchenrecht legalisieren müssen. «Wir haben das Phänomen der Pluralisierung in der Gesellschaft. Einerseits wirken neue Religionen und Gruppen mit, andererseits gibt es innerhalb der grossen Kirchen Richtungskämpfe. Hardliner stossen auf die Neurer, die Wege suchen, um einen Konflikt zu lösen.» Die Konflikte innerhalb der Religionsgemeinschaften nehmen diesbezüglich zu, stellt Huber fest.

Paaren sieht man Bireligiosität nicht an

Das Forschungsteam um Professor Huber geht davon aus, dass es in der Schweiz 200'000 Personen gibt, die solche Paarerfahrungen haben, sei es, dass sie verheiratet sind, einfach zusammenleben oder früher einmal verheiratet waren. Und auch gleichgeschlechtliche Paare. Das Problem für das Team besteht nun darin: Wie kommt es an diese Leute mit bireligiöser Paarerfahrung ran. Die Einwohnerkontrollen dürfen derartige Daten nicht herausgeben, stellt Huber bedauernd fest.

Das Team kann nicht einfach auf die Strasse hinausgehen und Paare ansprechen, die danach aussehen, als bildeten sie eine bireligiöse Gemeinschaft. «Da kann man ganz bös ins Fettnäpfchen treten», meint Huber. Südamerikaner und Philippinerinnen können durchaus katholisch sein, warnt er. Binationale Paare können der gleichen Religionsgruppe angehören.

Ein grosser Kostenfaktor

Michael Ackert ist einer der beiden Doktorierenden, welche zum Team gehören. Aktuell habe man Kontakt zu 200 Personen, darunter gegen vierzig Paare. Schon bei diesen fangen die Schwierigkeiten an. Ackert: «Oft antwortet nur einer. Wir versuchen dann, diese Person zu ermuntern, dass auch die andere an unserer Umfrage teilnimmt.»

Die Sprache ist eine weitere grosse Herausforderung. Die Fragebögen sind auf Deutsch und Englisch. «Oft verstehen jene Leute, die wir suchen, keine dieser beiden Sprachen», erklärt der diplomierte Psychologe Ackert. Oder sind dieser Sprachen nicht mächtig genug, um die Fragen beantworten zu können. Es bedeute dann einen grossen Kostenfaktor, mit solchen Leute zu reden und «die Antworten valide zu übersetzen, so dass das Resultat in eine wissenschaftlich korrekte Sprache gebracht werden kann».

Paare halten ihre Situation geheim

Das Forschungsteam hat auch bei Geistlichen verschiedener Religionen nachgefragt. Dabei habe sich herausgestellt, dass bireligiöse Paare oft nur ihr engstes Umfeld über ihre Situation informieren. Solche Paare seien oft einem höheren Druck von aussen ausgesetzt und möchten diesen möglichst gering halten.

Paarpsychologen verzeichneten keine grosse Nachfrage von bireligiösen Paaren, die wegen ihrer Religionsverschiedenheit Hilfe suchten. «Wir haben Paarpsychologen in der Schweiz gesucht, die in der Beschreibung ihrer Praxis die Bireligiosität aufführen. Wir haben lediglich eine Frau gefunden, die das tut.» Auf Anfrage habe diese erklärt: «In meinem Berufsstand gibt es nur sehr wenige, die das zum Thema machen, weil es so heikel ist.»

 

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Ein Wochenende in Adelboden
Stephan Huber möchte im Rahmen des Nationalfonds-Forschungsprojekts zu interreligiösen und interkulturellen Partnerschaften 600 bireligiöse Paare befragen. Das würde zu relevanten Aussagen führen, sagte er gegenüber kath.ch. Das Team um den Berner Forscher sucht darum Personen und Paare mit Erfahrungen in bireligiösen Partnerschaften. Bei der Teilnahme an einer Umfrage winken verschiedene Preise, unter anderem Hotelübernachtungen in Adelboden.
Infos zur Teilnahme am Forschungsprojekt gibt es bei www.paare.unibe.ch. Interessierte können ihre Teilnahme an der Umfrage direkt bei paare@unifr.ch anmelden.

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