Buch: «Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt»

Ein wunderbarer Roman von Jesmyn Ward aus dem schwarzen Süden

Die Toten und die Lebenden, Vergangenheit und Gegenwart sind sich näher als man vermuten würde in diesem Roman, der zu unserer Zeit im Mississippi-Delta spielt. Die Hauptpersonen: der 13-jährige Jojo, der mit seinen afroamerikanischen Grosseltern und seiner Schwester Kayla, einem Kleinkind, lebt. Dann die Mutter Leonie, die noch in der High School mit 17 schwanger wurde, über keinerlei Mutterinstinkt verfügt und sich mit Crystal Meth und sonst allem, was ihr in die Finger kommt, zudröhnt. Jojos Vater Michael ist weiss, der Sohn eines rassistischen Ex-Sheriffs, und sitzt im Gefängnis. Sein Bruder hat Leonies älteren Bruder Given auf dem Gewissen. Given erscheint Leonie jeweils, wenn sie high ist.

Der Grossvater sass als 15jähriger unschuldig in «Parchman Farm» ein, demselben Gefängnis wie jetzt der Vater. Damals glich es eher einer Strafkolonie, in der auch Kinder gnadenlos gesteckt wurden - Überlebensquote nebensächlich. So auch der 12jährige Ritchie, den der Grossvater zu beschützen versuchte – und scheiterte.

Die Geschichte beginnt mit Jojos 13. Geburtstag, der in einem Fiasko endet, und mit einem improvisierten Roadtrip zum Gefängnis, um den frühzeitig entlassenen Vater Michael abzuholen – auf dem die kleine Kayla fast draufgeht. Jojo und Leonie erzählen abwechslungsweise – der eine unglaublich sensibel, mit einem Gespür für Stimmungen, Natur, das Wesen der Tiere und für die Geister derer, die noch unter uns sind, die andere selbstbezogen, blind für die Bedürfnisse anderer, in ihrer Abhängigkeit gefangen.

Die Geister von Given und Ritchie fragen und mahnen die Lebenden – Ritchie kann erst gehen, wenn seine Geschichte zu Ende erzählt ist. Wenn es soweit ist, stehen Grossvater, Jojo und Kayla Schulter an Schulter, Kayla singt «Nach Hause, nach Hause». Dann kann das Leben weitergehen.

Eine aussergewöhnliche Geschichte, eine grosse Erzählkraft, Charakteren, die einem so nahekommen, dass es fast schmerzt – ein wunderbarer Roman einer jungen Autorin aus dem schwarzen Süden.

Sabrina Durante

Jesmyn Ward, «Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt», Antje Kunstmann-Verlag, München 2018, 304 Seiten, aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Becker, ISBN 978-3-95614-224-6. Fr. 31.90

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