Navid Kermani, Ungläubiges Staunen. Über das Christentum, mit 49 farbigen Abbildungen, C.H. Beck 2015, 303 Seiten, Fr. 35.90

Buchbesprechung - «Ungläubiges Staunen über das Christentum»

Kein Reisebericht, kein Kunstführer, kein wegweisendes theologisches Dokument. Navid Kermanis Buch über das Christentumist vieles nicht. Es ist kein Reisebericht, trotz der angeregten Schilderung der Besuche mehr oder weniger berühmter Kirchen und Galerien. Es ist kein Kunstführer, trotz der konzentrierten, vorsichtigen, manchmal fast kindlich-staunend anmutenden Betrachtung christlicher Kunstwerke. Und es ist kein bahnbrechendes theologisches Dokument, obwohl oder gerade weil Kermani mit scharfem Auge seine eigenen, persönlichen Gedanken zu dieser ihm gleichzeitig vertrauten und fremden, bisweilen unverständlich bleibenden Religion schildert.

Der Autor wuchs im protestantisch geprägten Nordrhein-Westfalen auf, hatte also in seiner Kindheit und Jugend engen Kontakt zum protestantischen Glauben. Sein Religionsverständnis wurde aber doch seit jeher durch seinen muslimisch-schiitischen Grossvater geprägt: Durch diesen doppelten religiösen Hintergrund blickt Kermani gleichzeitig als Fremder und «Eingeweihter» auf die Bildwerdungen christlichen Glaubens. Kermani sucht den Zugang zum Christentum über die bildende Kunst. Er nimmt sich christliche Kunstwerke zum Anlass, um über Themen wie die Anbetung des Kreuzes, hässliche Christusfiguren oder die unbegreifliche Schönheit Gottes nachzudenken.
Manchmal bewundernd und staunend, manchmal kühn, frech fast, manchmal zärtlich.
Schon fast ins Schamlose gleitet seine Sprache ab, wenn er über eine (missglückte?) Christusfigur des 14. Jahrhunderts spricht. Jedoch nicht per se unangenehm, da ihm der verklärt-entrückte Ansatz, der in solchen Betrachtungen des Glaubens immer mal wieder zu finden ist, abgeht.
Und gleichzeitig versteht er es, zu staunen, wie viele von uns es vielleicht verlernt haben. Gleich einem Kind, welches zum ersten Mal eine riesige Kathedrale betritt, dem zum ersten Mal die Geschichte von der Auferstehung erzählt wird, wirkt sein Staunen authentisch und unverbraucht. Und mit ihm macht sich plötzlich auch der Leser Gedanken, wird sich bewusst, wie viel Leid Maria unter dem Kreuz ihres Sohnes erleiden musste, so wie wenn man von einemKind Fragen gestellt bekommt und merkt, dass es Aspekte an einer Sache gibt, welcher man sich vorher noch nie bewusst war.
Kermani versteht es zu staunen. Viele von uns haben das vielleicht verlernt. Immer bleibt es jedoch seine persönliche Ansicht: Das Christentum, durch die Augen eines Muslims gesehen. Er spricht nicht aus der Sicht eines Religionswissenschaftlers, noch weniger aus der eines Theologen. Einen spannenden Perspektivenwechsel birgt das Buch jedoch für jeden Christen und verleitet ihn zu dem, was Kermani selber tut: (un)gläubig staunen.

Sebastian Schafer

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