Buchtipp: Kleine Feuer überall

Junge Menschen und das Lügengebäude, auf dem das Leben ihrer Eltern aufgebaut ist

In Shaker Heights, einem Vorort von Cleveland, ist alles genau geregelt. Die Farbe der Fassaden, die maximale Höhe des Grases, wann und auf welcher Seite der Alleebäume der Abfall herausgestellt werden muss. Die Menschen, die hier wohnen, haben diese Regeln verinnerlicht und glauben, dass einem nichts passieren kann, wenn sich alle an diese Regeln halten.

Elena Richardson, selber in Shaker Heights aufgewachsen, wohlhabend, vier Kinder, ist eine von diesen. Sie vermietet eine ihrer Wohnungen an Mia Warren, eine Photographin und alleinerziehende Mutter, die nie länger als ein paar Monaten am selben Ort bleibt und dann weiterzieht. In dem Masse, wie sich Mias Tochter Pearl mit den Richardson-Kindern anfreundet, verwickeln sich die Familiengeschichten, zeigen sich verschiedene Dynamiken, und immer, wenn man glaubt, einen Charakter erfasst zu haben, öffnet sich ein neuer Blickwinkel. Keiner ist nur gut, keiner nur borniert. Mit viel Einfühlungsvermögen werden die Menschen dargestellt: wer oder was hat sie zu dem gemacht, was sie sind?

Der Rechtsstreit um ein Findelkind, das von den Adoptiveltern und der leiblichen Mutter ausgefochten wird und eigentlich nicht direkt etwas mit den zwei Familien zu tun hat, spaltet die Menschen im behäbigen Vorort und setzt etwas ins Rollen, das nicht mehr aufgehalten werden kann. So etwas ist im Regelbuch von Shaker Heights nicht vorgesehen. Und wenn junge Menschen das Lügengebäude erkennen, auf dem das Leben ihrer Eltern aufgebaut ist, greifen sie vielleicht zu drastischen Massnahmen. Die kleinen Feuer im Titel sind nicht nur bildhaft gemeint.

Sabrina Durante

Celeste Ng, Kleine Feuer überall. Erscheinungsdatum 23.8.2019. Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit. DTV-Verlag, 384 Seiten. ISBN: 978-3-423-14723-1

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