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Buchtipp: «Phrase unser - Die blutleere Sprache der Kirche»

Vom «umarmenden Wir», «sprachlichen Duftwolken» und das Dilemma der Kirche, mit Worten über «das Unsagbare» reden zu müssen.

Die Sprache der Kirche ist bis geprägt von der Sozialpädagogik der Siebzigerjahre. Ein neues Buch zeigt auf, wie kirchliche Sprache Nähe vermitteln will, dadurch aber Aggressionen vertuscht.

Sylvia Stam

Vier Jahre nach Erik Flügges Bestseller «Der Jargon der Betroffenheit» liegt mit «Phrase unser» erneut ein Buch zur Kirchensprache vor. Während der Kommunikationsprofi Flügge die kirchliche Sprache in frechen Formulierungen selber analysiert, schürfen die deutschen Journalisten Jan Feddersen und Philipp Gessner «etwas weiter und tiefer», wie sie im Vorwort schreiben. Sie lassen namhafte Theologen wie Fulbert Steffensky, den Essener Bischof Franz-Josef Overbeck oder Kirchenkennerinnen wie Christiane Florin, Religionsredaktorin beim Deutschlandfunk, zu Wort kommen.

Dabei weisen sie ebenso schonungslos wie amüsant nach, wie sehr die Kirchensprache bis heute von der sozialpädagogischen Sprache der Siebziger und Achtziger Jahre geprägt ist. Pfarrer*innen und Sozialpädagog*innen sei denn auch gemeinsam, dass beide Berufsgruppen den Menschen verändern wollten. Die Theorie der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg habe den allgemeinen Sprachgebrauch ebenso beeinflusst wie die Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawik und Friedemann Schultz von Thun, sodass auch in der Kirche eine «Sprache der Empathie» dominant geworden sei.

Genau dies aber betrachten die beiden Journalisten kritisch: Die von Kirchenvertreter*innen gern verwendete erste Person Plural - «Lasst uns…» - nennen sie das «umarmende Wir», Formulierungen wie «Wir laden euch ein» oder «auf Augenhöhe» entlarven sie als floskelhaften «Psychojargon», der die Tendenz hat, Aggressionen zu vermeiden und klare, jedoch unliebsame Aussagen zu vertuschen. Dies hänge damit zusammen, dass kirchliche Sprache Nähe schaffen wolle und sich darum mit widerredenden Worten schwer tue.

Häufig würden auch Hierarchien und Anweisungen, die von oben nach unten gingen, durch eine «sprachliche Duftwolke» vertuscht. Eine auf diese Weise maskierte Aggression aber schliesse Menschen aus und entmündige sie, so die Autoren. Damit werde die kirchliche Sprache zum Machtmittel.

Obschon die evangelische Kirche Deutschlands im Fokus steht, zeigt schält das Buch auch typische Eigenheiten katholischer Kirchensprache heraus. Im katholischen Raum gebe es beispielsweise einen viel stärkeren Glauben «an eine magische Kraft der Sprache»: Durch das Aussprechen von Worten wie «Ich spreche dich los» verändert sich die Wirklichkeit. Auch kenne die katholische Kirche parallel zu ihrer weichen pastoralen Sprache auch die sehr harte Sprache des kirchlichen Lehramts.

Feddersen und Gessler bleiben nicht bei der Kritik stehen. Sie erwähnen ebenso, dass diese weiche, empathische Kirchensprache auch eine Reaktion auf die «Erziehungs- und Denkhärte» der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war, als Pfarrherren eben nicht «auf Augenhöhe» waren, sondern als «Hochwürden» angesprochen. Ebenso anerkennen die Autoren das Dilemma der Kirche, mit Worten über «das Unsagbare» – nämlich Gott – reden zu müssen.

Etwas dürftig bleiben die Ansätze zu einem Wandel dieser «blutleeren» Kirchensprache, welchen die Autoren lediglich skizzieren mit Stichworten wie «Schweigen», «Ausweg Poesie» oder «Vertrauen in die Kraft ihrer Bilder und Rituale». Ein Glossar mit Beispielen für kirchentypische Worte rundet das Buch ab.





Jan Feddersen, Philipp Gessler: Phrase unser.
Die blutleere Sprache der Kirche,
Claudius-Verlag 2020, ISBN: 978-3-532-62844-7



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