Das Klingelschild am Eingang zum Sekretariat der Christlichdemokratischen Volkspartei der Schweiz (CVP) in Bern. Foto: Keystone, Gaetan Bally

C als Aufhänger einer Partei

Pfarrer Nicolas Betticher zum Umgang der CVP mit ihrem C.

Die Corona-Pandemie lässt uns Zeit fürs Nachdenken. Über unsere Gesellschaften, unser Leben, unsere Werte. Schenken wir uns Zeit und denken wir nach über Werte.

Ein Beispiel: Die CVP, Partei der Mitte, will das C ablegen. Die Partei sei schon lange nicht mehr konfessionell, das heisst katholisch verankert, deshalb muss sie sich von diesem C lösen. Dies wird von Parteimitgliedern immer wieder verlangt. Die Partei der Mitte sucht nach neuen Mitgliedern. Deshalb muss sie auch ihr Profil erneuern. Das kann man verstehen. Und Werte hat sie ja, wie sie sagt: christliche Werte der Freiheit, der Verantwortung, der Solidarität etc. Stimmt. Ich hoffe aber, dass alle Parteien diese Werte vertreten, die ja zuerst nicht religiös sind, sondern ganz einfach menschlich.

Ich war auch einmal in dieser Partei engagiert. Damals war das C-Thema schon aktuell. Man wollte es neu schreiben: C als «communio», Gemeinschaft, und nicht mehr als «christlich». Aus Angst, viele Mitglieder der Stammländer zu verlieren, hat man dann diese Idee aufgegeben. Heute stellt sich die Frage wieder. Auch aufgrund einer legitimen Diskussion rund um die christlichen Werte?

Viele sagen, sie seien Christ*innen, kennen aber die christlichen Werte nur wenig oder gar nicht. Sie identifizieren sich mit einer christlichen Vorstellung, die es aber schlicht nicht mehr gibt. Seit den 60er Jahren hat sich Europa stark entwickelt. Das Individuum steht im Zentrum, nicht mehr die Gemeinschaft, die Familie. Einzelrechte dominieren. «Ich habe mein Leben im Griff und ich habe das Recht, es so zu gestalten, wie es mir passt.»

Seit den 60er Jahren lässt sich ausserdem eine klare Trennung zwischen Kulturen und Glaubensgemeinschaften (darunter auch die katholische Kirche) feststellen. Während sich die Kulturen Europas, auch infolge der Globalisierung, rasch entwickelt haben, versuchten die Glaubensgemeinschaften weiterhin in diesen Kulturen ihren Platz zu verteidigen. Dies führte rasch zur Erkenntnis, dass Kulturen sich schon längst von den Glaubensgemeinschaften verabschiedet hatten. Und doch hoffen viele das Religiöse wieder mit den Kulturen vor Ort zu verbinden, was meistens eher populistische Folgen hat.

Kulturen und Glaubensgemeinschaften: zwei Realitäten für eine Ortsgesellschaft. Wie kann der Dialog zwischen beiden stattfinden? Sicher indem die Identitäten beider Realitäten bewusst definiert werden. Versuchen wir es bei der katholischen Kirche als Glaubensgemeinschaft. Was ist ihre christliche Identität?

Mit Papst Franziskus dürfen wir betonen, dass der Katholizismus heute nicht mehr primär Theorien festlegen soll, sondern vermehrt aus dem Evangelium heraus leben muss. «Lazarett auf dem Schlachtfeld sein!», sich auf die Seite der Bedürftigen und Kleinen stellen.

Die Kirche soll weniger die Normative der Gesetze verkünden, sondern vielmehr die Werte der Nächstenliebe verkünden und auch kohärent leben. Denn die Kirche kann heute die Normative in der Gesellschaft nicht mehr direkt beeinflussen, ja sogar abändern (z. B. die Abtreibungsfrage, die eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaft usw.). Falls sie dies versucht, so muss sie sich mit den populistischen Kreisen verbünden. Und dies führt ja bekanntlich zu keinem positiven Resultat.

Mehr denn je braucht es heute Auseinandersetzungen über die Werte und nicht primär über Normen und Gesetze. Denn Erstere beeinflussen Letztere. Eben deshalb soll die Kirche nicht politischen Lobbyismus betreiben, sondern Grundsätze und Werte neu definieren, die in der heutigen Gesellschaft Platz finden können. Grundsätze, die den Wert des Menschen in seiner Ganzheit, seiner Pluralität, seiner Identität beschreiben. Grundsätze, die schlussendlich für alle gelten können.

Deshalb braucht die CVP ihre eigene Identität. Sie kann das C der Kirche zurückgeben, damit diese es apolitisch neu definieren und die christlichen Werte so definieren kann, dass sie niemanden ausgrenzen. Wir dürfen die christlichen Werte alle vertiefen und entfalten: die Parteien und die Kirche.

Nicolas Betticher, Pfarrer

 

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