Gemeinsam: Gebot der Liebe. Foto: Das liebende Herz Jesu an einer Mauer in Jerusalem; chillicheese/photocase.de

Christen sind nicht «neutral»

Der gemeinsame Nenner ist nicht die politische Parole, sondern Jesus und das Gebot der Liebe.

Wir sind Kräften ausgesetzt. Im religiösen Kontext sprechen wir etwa von guten und bösen Kräften oder «Mächten», im Allgemeinen auch von Polaritäten mit Spannungsfeldern, in denen das Leben stattfindet. Sie machen das Leben interessant, weil wir unterscheiden müssen.


Von Felix Gmür, Bischof von Basel

Im Vollbesitz unserer Kräfte können wir etwas bewegen, je nach sozialer Rolle etwas mehr oder weniger. Oft sind die Kräfte aber so stark, dass wir uns ihnen kaum entziehen können. Ein Beispiel dafür sind gesellschaftliche Trends. Ein solcher Trend ist der Ökonomismus, der Industrieländer wie die Schweiz prägt und fast alle Lebensbereiche und -phasen durchdringt. «Es» muss rentieren oder einen «Return on Investment» abwerfen. Im Gesundheitswesen entscheidet die Fallpauschale, wie lange jemand bei einer bestimmten Therapie im Spital bleiben darf. Selbst das Sterben muss so rasch erfolgen, dass dem Spital noch ein Deckungsbeitrag bleibt.

Produktivität und Gewinn sind die Maximen unserer Gesellschaft. Immer mehr Menschen sehen sich als Belastung, wenn sie am Produktionsprozess nicht mehr teilhaben können. Die Rationalität des Marktes wird durch die Digitalisierung zusätzlich verstärkt. Was haben wir einem solchen Trend entgegenzusetzen? Die meisten würden wohl sagen, hier sei die Politik gefordert. Zur Politik gehören wir als Stimmbürger*innen und als meinungsbildende Kollektive, ebenso Parteien sowie Interessensverbände aller Art.

Und die Kirche? Immer wieder – und gerade heute – ist umstritten, ob sich die Kirche in der säkularisierten, pluralistischen Gesellschaft am politischen Diskurs beteiligen und ethische Überlegungen einbringen soll, wenn es um Fragen der Gerechtigkeit in Wirtschaft, Gesundheitswesen, Umwelt- und Sozialwesen oder Finanzen geht. Was wäre, wenn die Kirche nur zuschauen würde? Die Kirche sind wir alle. Im Querschnitt umfasst sie das ganze politische Meinungsspektrum. Sie ist also keine Partei, sondern – aus Sicht der Politik – eher eine Art «Interessensverband» mit hohem Integrationspotenzial.

Der gemeinsame Nenner ist nicht die politische Parole, sondern Jesus und das Gebot der Liebe. Auf die Politik blickt die Kirche aus der Perspektive der Liebe, der Sorge um die Schöpfung und der Menschen – besonders um die am Rande der Gesellschaft. Die Perspektive der Liebe öffnet und ist umfassend, denn sie vereint und überwindet Grenzen. Liebe ist zudem eine exklusiv menschliche Kraft, zu der keine Maschine, kein Roboter je fähig sein wird. Dieser Kraft sowie der mit dieser Kraft verbundenen Macht sollten wir uns bewusst sein und sie nutzen – auch als kirchliches Kollektiv – als christlicher Körper in dieser Welt.

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