Foto: Vera Rüttimann

Das Gesangbuch verträgt weniger Lieder

Eine Umfrage über die Zukunft des Kirchengesangs.

Wie soll die Zukunft des Kirchengesangs aussehen? Eine Umfrage zeigt: Knapp die Hälfte der Befragten kann sich ein Gesangbuch mit weniger Liedern vorstellen.

Martin Spilker, auf kath.ch

Bis zum einschneidenden Corona-Lockdown gehörten sie zum festen Bestandteil jeder Kirche wie die kleinen roten Kerzen vor Heiligenfiguren: Die handlichen blauen Kirchengesangbücher, bei denen auf der Umschlagseite leere Notenlinien den Querbalken eines Kreuzes bilden.

Gemeinschaft betonen

Das katholische Gesang- und Gebetbuch – kurz KG genannt – für die deutschsprachige Schweiz stammt aus dem Jahr 1998 und wurde im Auftrag der Schweizer Bischofskonferenz herausgegeben. Das 959 Seiten starke Werk musste seinerzeit eine Unmenge Bedingungen erfüllen: traditionelles Liedgut wahren, neue musikalische Formen zugänglich machen, Liturgie und Kirchenjahr erklären und dazu eine Auswahl an Liedern enthalten, die in ökumenischen Feiern zusammen mit reformierten und christkatholischen Glaubensgenossen gesungen werden können.

Grosses Ziel und Aufgabe von Kirchengesangbüchern ist es, die Gemeinschaft am Ablauf des Gottesdienstes zu beteiligen: Gebete, Lesungen, Lieder, Musik und Stille konnten als gleichwertige Gestaltungsmöglichkeiten eingesetzt werden. Doch was tun, wenn weniger Leute regelmässig in die Kirche kommen und daher mit dem breiten Liedgut kaum mehr vertraut sind?

Welche Formen sind gefragt?

Diese Entwicklung wird weitergehen. Doch wie soll die Kirche darauf reagieren? Eine Arbeitsgruppe von Fachleuten aus Liturgie und Kirchenmusik hat sich der Herausforderung gestellt und sich daran gemacht, unter dem Titel «Chance Kirchengesang» der Deutschschweizer Ordinarienkonferenz DOK eine Grundlage für die in naher Zukunft anstehenden Entscheidungen zu liefern.

Der erste Schritt dazu war eine breit angelegte Umfrage in der Kirche zur Frage, ob und wenn ja welche Veränderungen der Kirchengesang in kommender Zeit erfahren müsse. Urban Federer, Abt von Einsiedeln, hat als Vorsitzender dieser Arbeitsgruppe die Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut St. Gallen (SPI) gesucht.

Wer kann etwas gegen Erneuerung haben?

Kurz zusammengefasst lässt sich sagen, dass eine neue, breitere Herangehensweise zur Förderung des Kirchengesangs gewünscht und dabei auch Unterstützung zugesprochen wird. Die verschiedenen in der Umfrage zur Sprache gebrachten Themen (siehe Kasten) erhielten von den über 1000 Antworten denn auch sehr oft eine Zustimmung von über 80 bis über 90 Prozent.

An einem Hearing vor Fachleuten in Zürich am Donnerstag wurden diese humorvoll als «nordkoreanische Ergebnisse» bezeichneten Resultate denn auch mit Interesse im Detail angeschaut. So wurde mehr als einmal die Frage in den Raum gestellt, dass sich aus kirchlichen Kreisen kaum jemand dagegenstellen könne, Traditionen zu bewahren und zu pflegen. Dieses Ziel erhielt denn auch 94,4 Prozent Zustimmung.

Auch kritische Anmerkungen

So ging es bei der Präsentation der Ergebnisse durch SPI-Institutsleiter Arnd Bünker weiter. Auffällig – und für die Weiterarbeit der Arbeitsgruppe bestimmt von Bedeutung – sind die Themen, welche aus diesem Rahmen fallen. Da ist besonders zu erwähnen, dass «nur» etwas mehr als 55 Prozent die bestehende Vielfalt an Liedern auch in der Zukunft zu sichern.

Hier konnte bereits eine konkrete Schlussfolgerung gezogen werden: Angesichts zurückgehender Kirchenbesucher-Zahlen und damit auch weniger Gläubigen, die im Gottesdienst singen, kann der Standart-Liedschatz verkleinert werden. Wichtig war den Befragten jedoch, dass diese Auswahl so gestaltet wird, dass sie in Stil und musikalischem Anspruch so gestaltet sind, dass sie unterschiedliche Ausdrucksformen in Sachen Spiritualität und Ästhetik widerspiegeln.

Mehr als ein neues Gesangbuch gefragt

Sowohl von der Arbeitsgruppe wie auch in der Umfrage und am Hearing wurde deutlich, dass eine Veränderung des Kirchengesangs nicht als alleinige Massnahme gesehen werden kann. Ebenso seien auch pastorale Veränderungen notwendig, etwa der Stellenwert der Kirchenmusik, die Form der Vermittlung – Stichwort Kantoren oder Kirchenchöre –, sowie die Form der Sammlung von Liedern und Texten überhaupt.

Nicht selten wurde hier eine elektronische Form angesprochen, die allenfalls ein gedrucktes Kirchengesangbuch ersetzen könnte. Diese Form würde beispielsweise die Zugänglichkeit für Menschen mit Beeinträchtigungen erleichtern oder auch die Möglichkeit bieten, Liedtexte ohne grossen Mehraufwand in einer Kirche zu projizieren.

Breites Interesse an Weiterarbeit

Nach Auswertung der Rückmeldungen aus dem Hearing wird die Arbeitsgruppe Chance Kirchengesang der DOK bis Ende Jahr eine Zusammenfassung der Ergebnisse vorlegen. Die Bischöfe der Deutschschweiz werden der Gruppe sodann einen Auftrag für eine Weiterentwicklung sowohl kirchenmusikalischer Elemente wie auch pastoraler Ziele mitgeben. Die Arbeitsgruppe wird, wie sich beim Hearing zeigte, danach auf breite Unterstützung der Fachleute aus den vertretenen Verbänden und Institutionen zählen können.

Abt Urban Federer formulierte es abschliessend so: «Wir wissen nun, was wir zu tun haben.» Die Auswertung der breit angelegten Umfrage ist auf der Internetseite des SPI veröffentlicht.


Kirchenmusik allein rettet den Gottesdienst nicht

Einigkeit besteht bei vielen Fachleuten auch darüber, dass eine Stärkung des Kirchengesangs in der Gemeinde Investitionen und Engagement benötigt. Oder, wie es ein Teilnehmer am Hearing sagte: «Wenn in einer Pfarrei der Kirchenmusik keine Aufmerksamkeit gewidmet wird, da ist auch der Kirchengesang schlecht.»

Doch, auch hier besteht weitgehend Einigkeit: Eine Stärkung der Kirchenmusik allein ist kein Garant für besseren Besuch der Gottesdienste. Wenn aber Gläubige in einer Feier einen vollen Gesang erleben, werden sie dadurch auch emotional, heisst spirituell stärker angesprochen, was wiederum eine stärkere Beheimatung in einer Pfarrei vermitteln kann.

Enge Zusammenarbeit nötig

Immer wieder betont wurde deshalb auch die Wichtigkeit der Zusammenarbeit zwischen den Verantwortlichen für die Liturgie und der Kirchenmusik, die bereits in der Ausbildung der beiden Berufsgruppen beginnen könnte. Beruhigend für die Fachleute ist, dass in der Umfrage die Resultate zwischen Liturgen und Kirchenmusikern nicht komplett verschieden ausgefallen sind.

Das Resultat ist von daher wichtig, als es beiden Gruppen ein Anliegen sein muss, dass die Gläubigen durch den Gesang aktiv in die Gottesdienstgestaltung miteinbezogen werden und die Feier so zu einem erlebbaren Miteinander wird.


Gemeindebeteiligung und Qualität stehen hoch im Kurs

In der von über 1000 Personen beantworteten Umfrage galt es zu sieben Fragen des Kirchengesangs Stellung zu nehmen. Die Rückmeldungen kamen je rund zur Hälfte von in der Liturgie tätigen Personen wie Seelsorgerinnen und Seelsorgern, Katechetinnen und Katecheten sowie Priestern und zur anderen Hälfte von professionellen, neben- oder ehrenamtlichen Kirchenmusikern.

Zur Debatte gestellt wurden folgende Herausforderungen und/oder Ziele, die jeweils mit Blick auf die Bedeutung der Kirchenmusik in ihrer Wichtigkeit zu beurteilen waren:

   Traditionen bewahren und pflegen
   Beteiligung der Gottesdienstteilnehmenden ermöglichen
   Hilfe in wichtigen Lebenslagen bieten (Kasualien), so bei Sakramenten oder Bestattungen
   Missionarisch Kirche sein und in kirchendistanzierter Gesellschaft Glauben teilen
   In kultureller Vielfalt und spürbarer Zusammengehörigkeit Kirche sein
   Ökumene fördern
   Gottesdienste mit hoher Qualität als Gemeinschaftshandeln erleben.

Als wichtigste dieser Herausforderungen wurde die Beteiligung der Gemeinde genannt (21,9%), danach die Qualität der Kirchenmusik (19,2%), gefolgt von der kulturellen Vielfalt (18,4). Die Ökumene (14,6%) erhielt quasi gleich viel Unterstützung wie die Pflege von Traditionen (14,3%). Deutlich weniger Aufmerksamkeit wurde den Bereichen Kasualien (7,9%) und der Mission (3,6%) geschenkt. (ms) 

 

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