«Gott war ganz fern, damals.» Elisabeth Spichiger. Foto: Andreas Krummenacher

Das Wesentliche kommt von jemand anderen

Gott ist in allem drin, er ist da, auch wenn er manchmal ganz fern zu sein scheint, sagt Elisabeth Spichiger im Hinblick auf ihr engagiertes und bewegtes Leben.

SVP-Politikerin, Katechetin und Sekretärin der Pfarrei Huttwil – Elisabeth Spichiger ist seit jeher vielfältig unterwegs. Unser Besuch bei ihr offenbart noch ganz andere Seiten.

Sie holt uns persönlich am Bahnhof ab. Elisabeth Spichiger, Gemeindepräsidentin von Rohrbach in zweiter Legislatur. 27 Jahre lang war die SVP-Politikerin Katechetin und Sekretärin der Pfarrei Huttwil. Nicht ganz ein Jahr nach ihrer Pensionierung hat sie ihre Dienst quittiert. Ihre Ministrantenpastoral in Huttwil war und bleibt legendär. Was war ihr Geheimnis, das sie durch all ihre Engagements in Pfarrei und Politik trug?

Landschaft

Sie steht in ihrer kürzlich umgebauten Küche in einem Bauernhaus, das auf alten Fundamenten gebaut ist. Vorher hat sie uns durchs ganze Dorf gefahren, das Gemeindehaus und das neue Alterszentrum präsentiert. Winterlich liegt die Landschaft unter Hochnebel, als wir auf dem Rohrbachberg, einer Anhöhe über dem Dorf, anhalten und sie uns «ihre» Talschaft zeigt. Rohrbach mit seinen Weilern liegt sanft eingebettet unter uns. Eine Landschaft wie aus einem Bilderbuch. Aber voller Leben. Für einen Teil davon trägt sie die Verantwortung.


Mit Gott gehadert

In der warmen Küche rauscht die Kaffeemaschine. Elisabeth Spichiger lacht über die Frage nach ihrem Geheimnis und wird dann ernster: «Geheimnis ist ein zu grosses Wort. Vieles ist ein Mysterium, aber getragen hat mich mein Glaube an einen Gott, der mir immer wieder Weite schenkte, weil ich wusste, dass das Wesentliche Gott macht, nicht ich.»

Eine bekannte Antwort auf die Frage, geht es nicht etwas konkreter? Elisabeth Spichiger serviert den Kaffee und setzt sich: «Es gab eine Zeit in meinem Leben, da haderte ich mit Gott, konnte nicht mehr beten.» Sie erzählt von ihren sechs Fehlgeburten. Ein Kind musste sie gar tot gebären, am selben schrecklichen Tag erfuhr sie aus den Nachrichten, dass auf einer Autobahnraststätte ein totes Neugeborenes gefunden wurde: «Ich verstand Gott nicht. Er war ganz fern, damals.»


70 Jugendliche

Das alles ist Jahrzehnte her. Zwei Kinder – eine Tochter, nach sieben Jahren ein Sohn – wurden ihr und ihrem Mann Ueli geschenkt. «Damals und noch heute ein Wunder, das mich dankbar gemacht hat», erzählt sie. Vielleicht habe sie sich auch deshalb so für die Jugendarbeit und Ministrantenpastoral eingesetzt. Über 70 Jugendliche waren es, die sich den Altardienst teilten.

Familien, Kinder und Jugendliche waren ihr in ihren Aufgaben in der Pfarrei immer zentral. «Vielleicht hat es auch mit unserem Bauernbetrieb zu tun hier», sagt die Bäuerin, die sie ebenfalls ist. «Anpflanzen, Jungtiere, das Ausgeliefertsein an die Witterungseinflüsse, das alles prägt unser Arbeiten. Ich erinnere mich an ein Kartoffelfeld, dass gut gedieh, aber im Herbst wegen langem Regen kaum eine Ernte gab und uns grosse Verluste bescherte. Man wird realistisch und entdeckt den Wert des Aufbruches, der Hoffnung.»

Katholikin bei den Reformierten

Im Rohrbachgraben, wo ihr Schwiegervater herkam, leben viele freikirchliche Gruppen. Die innerreformierte Ökumene ist im Oberaargau kein Fremdwort. Manchmal mehr ein Nebeneinander als ein Miteinander. Elisabeth Spichiger fand als Katholikin und Auswärtige eine gute Aufnahme. Das Miteinander mit der reformierten Kirche sei bereichernd. Ihre Ehe blieb konfessionsverschieden, ihre Kinder erzog sie katholisch.

«Dieses Miteinander prägte auch meinen Einsatz als Katechetin und Sekretärin in der Pfarrei Huttwil. Es geht in der Seelsorge um die Menschen, um ihre Geschichten, Freuden und Nöte. Eine Pfarrei lebt von den persönlichen, familiären Beziehungen. Auch im Religionsunterricht.»


Pietro

Sie erinnert sich an die Geschichte mit Pietro: «Er war ein Bub mit geistigen Beeinträchtigungen, ich nahm ihn in die Klasse auf, er feierte mit der Normalklasse die Erstkommunion. Es war nicht ganz einfach. Ich fragte mich immer, bin ich seiner Behinderung, bin ich ihm gerecht geworden? Wir standen dann am Festtag mit allen um den Altar, der Priester hob die Hostie empor, alles war in Andacht, da rief Pietro laut: ‹Gäll Frou Spichiger, jetzt kommt Jesus, jetzt isch er bi üs›.

Meine Fragen wurden ganz unwichtig. Später starb er an Krebs. Als ich ihm die Krankenkommunion brachte, setzte er sich im Bett auf und sang spontan das Lied, das wir an der Erstkommunion zum Brotbrechen gesungen hatten. Er sagte darauf: ‹Gäll, Frau Spichiger, iz gseh ne de, iz bi ni de bin ihm›.» Sie hält inne und sagt dann: «Solche Erlebnisse nahm ich als Bestätigung, dass ich am rechten Platz war, aber auch als grosse Verantwortung den Jugendlichen und Kindern gegenüber.»

Die authentische Glaubensweitergabe war ihr wichtig. Sie verband diese Vermittlung immer mit ihren Erlebnissen.


Abschiedsbrief

Das neue Unterrichtskonzept, das im neu errichteten Pastoralraum Oberaargau eingeführt wurde, erleichterte ihr den Rücktritt. Knapp ein Jahr nach ihrer Pensionierung. Es entsprach nicht mehr ihrer 27-jährigen Erfahrung. «Alles hat seine Zeit», schrieb sie in ihrem versöhnlichen Abschiedsbrief, sie gehe mit «grosser Dankbarkeit und mit frohem Herzen». Versöhnlich war er, dieser Abschied, aber auch schmerzlich.

Aufgefangen habe sie ihn mit ihrem Gottvertrauen. Ihre Gottesbeziehung schildert sie konkret so: «Mein Gottesbild, ein Gott, der gut ist, offen ist, trägt. Ich kann mit einem strafenden Gott nichts anfangen. Gott ist in allem drin, er ist da, auch wenn er manchmal ganz fern zu sein scheint. Ich glaube auch, dass ich von Gott gewollt bin, nicht per Zufall hier lebe. Wo ich auch bin, spüre ich, dass da noch etwas mehr ist. Die Liebe, die Geborgenheit, das Daheimsein sind immer präsent. Das hat mir auch ganz viel Druck weggenommen, weil ich weiss, dass nicht ich es bin, die muss, ich gebe mein Bestes, aber das Wesentliche kommt von jemand anderem.»

Davon profitiert sie auch als Gemeindepräsidentin. Das ist aber eine andere Geschichte.

Jürg Meienberg

 


Anekdoten aus dem Elternhaus Elisabeth Spichigers:

«Meine Mutter war eine einfache Frau, ist im Jura aufgewachsen und hat oft sehr gelitten, weil sie die Kirche besuchen und dazu einen weiten Weg in Kauf nehmen mussten. Ich weiss noch, als der ehemalige Bischof Vogel unseres Bistums zurücktrat, weil seine Partnerin ein Kind von ihm erwartete, rief mir meine damals 70-jährige Mutter an und sagte: ‹Hast du das gehört, und wegen so etwas sind wir stundenlang gelaufen, um Gottesdienste und die Vesper zu besuchen›. Sie hat die Welt nicht mehr verstanden. Das war für sie eine ganz grosse Enttäuschung.»

«Mein Vater war der älteste von neun Buben.
Als er 18 Jahre alt war, verloren sie ihre Mutter, die an einer Operation starb. Sein jüngster Bruder war damals zweijährig. Ihr Vater war Fabrikarbeiter mit einem grossen Glauben. Als Erstkommunikant machte mein Vater eine schlimme Erfahrung. Am Morgen der Erstkommunion stahl er einen Zuckerwürfel, weil er auf Süsses versessen war. Er hätte aber nüchtern bleiben sollen vor dem Kommunizieren. Er beichtete es seinem Vater und dieser sagte es dem Pfarrer. Der Pfarrer verkündete dann im Gottesdienst von der Kanzel, dass Vitus nicht zur Erstkommunion gehen könne, er komme erst am Morgen des nächsten Tages, weil er einen Zuckerwürfel gegessen habe. Mein Vater litt noch als alter Mann an dieser Schmach.»

 

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