«Es ist wichtig, über die Vergangenheit zu informieren und sie aufzuarbeiten.» Sergio Ferrari. Foto: Pia Neuenschwander

Dem Terror getrotzt

Sergio Ferrari war während der argentinischen Diktatur drei Jahre im Gefängnis. Nun ist sein Buch erschienen.

Er wurde geschlagen und gefoltert – aber er liess sich nicht unterkriegen: Sergio Ferrari war während der argentinischen Diktatur drei Jahre im Gefängnis. Nun ist ein Buch mit Schilderungen von ihm und anderen Ex-Häftlingen auf Französisch erschienen.

von Marcel Friedli

Das Gefängnis Coronda in Argentinien wird bis in die kleinste Ecke überwacht – doch die Häftlinge schaffen es, ein Periskop zu basteln. So kehren sie die Rollen um: Sie sind es, welche die Wärter überwachen. Sind keine zu sehen, nutzen sie die Freiheit in der Unfreiheit: Sie singen, erzählen sich Geschichten, Witze, rezitieren Gedichte, pfeifen, geben sich Rätsel auf. Um so die 23 Stunden in der knapp neun Quadratmeter kleinen Zelle zu ertragen. Um von der Ungewissheit abgelenkt zu sein, wie lange sie hier noch ausharren müssen und ob sie stark genug sein werden, den Repressalien zu trotzen. Und um den Gedanken zu ertragen, dass es nie ein rechtskräftiges Urteil gegeben hat oder geben wird.

Dieses Periskop ist Symbol für Hoffnung und Lebenskraft. «El Periscopio»: So heisst auch das Kollektiv ehemaliger politischer Häftlinge von Coronda, welches das spanische Original als französische Übersetzung herausgibt. Darin schildern ehemalige Insassen, wie es ihnen gelungen ist zu überleben, in einem System, das darauf angelegt war, sie zu entwerten und zu zerstören. Der Titel des Buches ist die Antwort darauf: «Ni fous, ni morts»: Wir sind weder tot noch verrückt – wir haben überlebt.

Das Buch wird im September (geplant war der 26. März) im Käfigturm vorgestellt und diskutiert (vgl. Kasten). Das Werk zu übersetzen, bedeutete über ein Jahr Arbeit. Motor des Teams ist Sergio Ferrari, selber ein ehemaliger Gefangener. Die Anstrengung habe sich gelohnt, sagt er. «Wir sensibilisieren dafür, wie wichtig es ist, über die Vergangenheit zu informieren und sie aufzuarbeiten – und hoffen, dazu beizutragen, dass sich solch schreckliche Dinge nicht wiederholen.»

Über die Genugtuung hinaus

Dabei geholfen hat der Prozess vor zwei Jahren gegen die Verantwortlichen des Gefängnisses, bei dem Sergio Ferrari aussagte. «Ein grosses Glück war, dass ich mich dabei auf ein umfangreiches Dokument stützen konnte, das bei Amnesty International archiviert ist.» Nachdem er 1978 aus dem Gefängnis in die Schweiz entlassen worden war, fand er den Mut und die Worte niederzuschreiben, was er in Coronda erlebt hatte. «Es war die einzige Möglichkeit, etwas für meine Freunde im Gefängnis zu tun.»

Seine Aussage trug dazu bei, dass zwei Verantwortliche zu 22 bzw. 17 Jahren Haft verurteilt wurden; ein Dritter war vor dem Prozess verstorben. «Beim Prozess meinen Beitrag zu leisten, war befreiend. Dies geht über die Genugtuung hinaus, dass das Unrecht bestraft worden ist: Es ist zudem ein Sieg der Menschlichkeit über Ungerechtigkeit und Willkür – und damit ein Symbol mit starker Strahlkraft.»
Diese Stärke strahlt auch Sergio Ferrari aus. «Unser kollektiver Widerstand, unsere unglaubliche Solidarität, meine politische Überzeugung sowie die Struktur meiner Persönlichkeit machten es möglich, das vermeintlich Unerträgliche zu überleben. Dabei halfen mir, nebst professioneller Hilfe, auch die Arbeit am Buch und das Exil: Ich kann offen über die Erfahrungen sprechen.» Albträume lassen ihn noch heute in der Nacht aufschrecken – davon lenkt ihn die Arbeit für «El Periscopio» ab.

 

Buch und Person
1153 Menschen waren zwischen 1974 und 1979 in Coronda in Santa Fe nördlich von Buenos Aires inhaftiert; dies während der Diktatur in Argentinien (1976–1983). Der 65-jährige Journalist und Menschenrechtsaktivist Sergio Ferrari lebt in Bern, ist zweifacher Vater und Grossvater. Er steht in Kontakt mit Persönlichkeiten der katholischen Kirche wie Leonardo Boff.Das französischsprachige Buchs «Ni fous, ni morts» (Verlag: Editions de l’Aire, Fr. 29.–) ist im Buchhandel erhältlich.
Die Vernissage wurde auf September verschoben.

 

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