Egal welche Religion, die Devise dieser Tage lautet - ab ins Internet. Foto: Pia Neuenschwander

Den Spiegel drehen

Wie gehen Hindus, Juden und Muslime in Bern mit der Coronakrise um?

Auch Hindus, Juden und Muslime verlagern wegen Corona Veranstaltungen ins Internet – und finden online ebenso Resonanz. Die Informationen des Bundes sind hingegen nicht bei allen drei Religionsangehörigen gleich schnell angekommen.

Autor: Marcel Friedli

Still und ruhig ist es im Hindu-Tempel im Haus der Religionen in Bern. «Wir sind gelähmt», sagt Sivakeerthy Thillaiambalam vom tamilischen Verein Saivanerikoodam. «Kein Präsenzgebet, alle Versammlungen sind abgesagt.»

Ähnlich ergeht es coronabedingt den Jüdinnen und Juden. «Alles fällt weg: Anlässe, Gottesdienste, Beerdigungen», sagt Hannah Einhaus von der Jüdischen Gemeinde Bern.

Bei den Muslimen finden zwar Erdbestattungen statt, wie Hans H. Weber sagt. Er steht in engem Kontakt zum IKRE, dem Verein Islamisches Kulturzentrum Region Thun. Somit fungiert er als Brückenbauer zwischen der christlichen und muslimischen Gesellschaft, Kultur. «Die Moschee ist geschlossen», sagt er. «Imam Azir Aziri geht allein hinein und predigt über die sozialen Netzwerke, für Muslime in der ganzen Schweiz.» Zurzeit findet kein Freitagsgebet statt. Sonst versammeln sich dazu alleine in Thun jeweils 250 Muslime. Gemeinschaftsgebete über die sozialen Medien finden keine statt.

Bei den Hindus hat sich freitags via Facebook eine gemeinsame Feier etabliert: Meditation, dazu Inputs sowie Gebete. «In diese beziehen wir unter anderem die Menschen ein, die sich in Spitälern, Heimen und bei der Spitex um andere kümmern», sagt Sivakeerthy Thillaiambalam. Zwischen 30'000 und 40'000 Menschen sind an diesen Online-Events dabei. «So viele Menschen hätten in unserem Tempel gar nicht Platz. Zwar ist das gemeinsame Beten und Singen nicht dasselbe wie vor Ort. Doch dieser Weg hilft uns, das kollektive Gefühl des Verbundenseins zu pflegen.»

Sich in den Schabat einklinken

Auch Juden machen sich die modernen Möglichkeiten zunutze: Via Zoom kann man sich in den Schabbat einklinken. Mit einem kleinen Unterschied: Statt wie gewohnt um halb sieben am Abend erfolgt die Feier am späteren Nachmittag. «Dann ist es orthodoxen Juden noch erlaubt, Strom einzuschalten, also den Computer zu benützen», erklärt Hannah Einhaus. Zudem gibt es an ein bis zwei Abenden pro Woche Vorlesungen und Diskussionen. Das virtuelle Angebot werde besser gut genutzt als die Anlässe im Gemeindehaus. «Es ist wohl für einige komfortabler: Man braucht sich nur einzuloggen und kann sich den Weg sparen.»

Das haben etliche Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Bern auch am Seder getan. Dies ist das jüdische Abendmahl, an dem man den Auszug aus Ägypten und die Befreiung aus der Sklaverei unter dem Pharao feiert. Dazu gehört auch die Seder-Platte mit einem traditionellen Menü. Sonst ein grosses Fest in der Gemeinde, hat nun jeder für sich oder im engsten Familienkreis gekocht: «Für einen kleinen Kreis statt für die grosse Gemeinschaft dieses Festmahl zu bereiten, hat etwas Überwindung gekostet», erzählt Hannah Einhaus, «doch zu wissen, dass gleichzeitig auch andere dieses Ritual zelebrieren, das verbindet.»

Zudem bietet die aktuelle Situation die Gelegenheit, sich tiefer mit den Ritualen zu beschäftigen: So hat der Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Bern exakt auf den Seder einen aktualisierten, mit Erklärungen und Hintergründen ergänzten Leitfaden zur Haggada herausgegeben. Dies ist das Buch, welches durch den Seder führt. «So hatten wir die Möglichkeit, den Seder selber bewusster zu erleben und zu gestalten», sagt Hannah Einhaus. Auch wenn gemeinsame religiöse Rituale zurzeit nur virtuell möglich sind – man kann das persönliche Glaubensleben trotzdem pflegen.

So machen laut Hans H. Weber einige Muslime ihre täglich fünf Gebete für sich. «Viele widmen sich dem Gebet und der Meditation zu Hause, für sich», sagt auch Hindu Sivakeerthy Thillaiambalam. Die meisten seiner Glaubensgefährten hätten dafür einen Platz oder ein Zimmer in ihrer Wohnung eingerichtet. «Die jetzige Situation ist eine Chance, den Spiegel, der sonst immer nach aussen gerichtet ist, zu drehen – und sich nach innen zu wenden, ins Innere zu schauen.»

Informationspool aufgebaut

Zuhause bleiben, sich regelmässig die Hände waschen, angemessen Abstand halten: Dieses Mantra des Bundes ist teilweise mit Verzögerung gehört worden. Beispielsweise bei den Muslim*innen in Thun. «Zwar besteht eine entsprechende Vernetzung mit den Kantonen und dem Bund», sagt Hans H. Weber. «Doch sie wird nicht den Möglichkeiten entsprechend wahrgenommen. Deshalb haben wir einen Pool aufgebaut, um sicherzustellen, dass die Informationen der Behörden flächendeckend verbreitet werden.» Seither klappe der Informationsfluss gut.

Die Anordnungen des Bundes seien von Anfang an und sofort bei den Hindus angekommen, sagt hingegen Sivakeerthy Thillaiambalam. Rasch seien sie auf Tamilisch und in andere Sprachen übersetzt worden, auch auf der Seite des Bundesamtes für Gesundheit. «Zudem informieren sich viele selber und von sich aus. Etliche verfolgen die relevanten Nachrichtensendungen. Wir halten uns an die Weisungen der Regierung», versichert er.

 


Reden und helfen

In akuten Krisen geht es den Menschen – unabhängig von ihrer Religion – gleich: Sie haben das Bedürfnis, von ihren Sorgen zu erzählen und schätzen es, dass ihnen zugehört wird. Darum ist Seelsorge überall gefragt; auch in islamischen, hinduistischen und jüdischen Gemeinden. Zum Beispiel übers Telefon: «Wir haben mindestens zehn Personen pro Tag, denen aufgrund der aktuellen Situation die Decke auf den Kopf fällt und die uns anrufen – um zu reden», sagt Sivakeerthy Thillaiambalam vom tamilischen Verein Saivanerikoodam. Viele Sorgen werden auch über die sozialen Plattformen abgeladen; man tauscht sich gegenseitig aus, ermuntert einander. Zudem wird das Internet genutzt, um Hilfe zu organisieren, beispielsweise fürs Einkaufen oder um Medikamente zu liefern.

 

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