Die Notschlafstelle Sleeper in Bern bekommt von der Kirche 10'000 Franken. Hier ein Blick in einen der Schlafsäle im Sleeper. Foto: Keystone, Alessandro della Valle, September 2014

Die (Hinter-)Gründe einer Million

Wie es der Kath. Kirche Region Bern gelang, sehr schnell ein Corona-Hilfspaket zu schnüren.

Im Schnellzugstempo Hilfe für Menschen am Rande der Gesellschaft, die von Corona besonders getroffen sind: Innerhalb einer Woche hat die Katholische Kirche Region Bern eine Million Franken locker gemacht – ohne Entscheid des Kirchenparlaments. Wie war das möglich? Reisst dies ein Loch in die Kasse? Das «pfarrblatt» beleuchtet die Hintergründe.

Von Marcel Friedli

«Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben.» Diese Worte in Matthäus 25 haben sich die Verantwortlichen der Katholischen Kirche Region Bern offenbar zu Herzen genommen: Kurz nach dem Lockdown haben sie innerhalb einer Woche ein Hilfspaket von einer Million Franken geschnürt und verabschiedet (vgl. Box). Ein knappes Drittel dieser Million fliesst in die direkte Nothilfe: Bedürftige werden mit Lebensmitteln unterstützt, die Institutionen und Sozialhilfestellen an Hungrige und Durstige abgeben.

Beim Hilfspaket überrascht, dass auch Xenia unterstützt wird – die Organisation setzt sich für Sexarbeiterinnen ein. «Diese Frauen gehörten zu den ersten, die stark von der Situation betroffen waren», sagt Ruedi Heim, leitender Priester des Pastoralraums Bern. «Ihnen zu helfen, ist eine Notwendigkeit.»

Für Ruedi Heim gehört es zur Geschichte und zum Wesen der Kirche, dass sie in Notzeiten zu grosszügigem Handeln bereit ist: einzelne Personen, Ordensgemeinschaften, die Kirche als Ganzes. «In Bern hat man zu Beginn der Corona-Situation schnell gemerkt, dass Menschen am Rande der Gesellschaft noch stärker marginalisiert werden und die ohnehin schwache Unterstützung verlieren. Darum wollen wir schnell und unkompliziert mit bewährten Partner-Organisationen Hilfe leisten.

Ist es angesichts der Not der richtige Moment, um lange nachzudenken und zu debattieren? Diese Frage beschäftigte auch Karl-Martin Wyss, Präsident des Kleinen Kirchenrates der Römisch-Katholischen Gesamtkirchgemeinde Bern. Man sei zum Schluss gekommen: «Nein, wir handeln.»

Als «Fürsprecher der Armen» wolle man hinschauen und Not lindern, ergänzt Alexander Stüssi, Leiter der Verwaltung der katholischen Gesamtkirchgemeinde Bern und Umgebung. «Unsere Kernaufgabe ist das Wohl der Gesellschaft. Wir denken an die Menschen unserer Gesellschaft, die von Armut betroffen sind.»

Sorgfältig eingefädelt

Die Katholische Kirche Region Bern hat nicht nur gedacht – sondern rasch gehandelt: Bereits elf Tage nach dem verordneten Verstummen des öffentlichen und sozialen Lebens wurde ihr Hilfspaket zur Stütze vieler hilfsbedürftiger Menschen. «Das ging im Schnellzugstempo», ist sich Dominique Reymond von der Geschäftsprüfungskommission (GPK) bewusst. «Aber immer im Einklang mit den rechtlichen Vorgaben.» Dieser Kredit sei zum einen im Kleinen Kirchenrat diskutiert worden, also in der Exekutive. Zum anderen sei die Unterstützung dafür auch beim Büro des Parlaments sowie bei der GPK eingeholt worden.

Dominique Reymond verweist zudem auf die nationale politische Parallele: «Entscheide des Bundesrats für finanzielle Unterstützung wurden mit den parlamentarischen Finanzkommissionen vorbesprochen.»

Der Kleine Kirchenrat, also quasi der Bundesrat der Katholischen Kirche Region Bern , hat über einen zehn mal höheren Betrag eigenmächtig entschieden – ohne dass der Grosse Rat, also das (Kirchen-)Parlament diesen Betrag genehmigen konnte: Normalerweise darf der Kleine Kirchenrat ausschliesslich über Ausgaben von 100 000 Franken im Eigenregime entscheiden. «Eine Million Franken liegt nicht in der Zuständigkeit des Kleinen Kirchenrats. Dieser darf einen solchen Betrag in der Regel nicht autorisieren», weiss Verwaltungsleiter Alexander Stüssi.

Doch mit dem Lockdown waren diese demokratischen Regeln ausser Kraft. Man habe sich bei den Regierungsstatthaltern des Kantons Berns abgesichert, dass dieses Geschäft angesichts der grossen Not unaufschiebbar sei. Alexander Stüssi: «Es konnte nicht bis zur nächsten Sitzung des Grossen Kirchenrats im Juni warten: So schnell wie möglich musste entschieden werden. Somit war es für den Kleinen Kirchenrat naheliegend, zu Gunsten von Menschen in Not einen Entscheid zu fällen – obwohl die reglementarisch festgelegten Kompetenzen überschritten worden sind. Der Entscheid ist jedoch breit abgestützt. Zudem ist ein grosser Teil unseres Budgets für sozialdiakonische Aufgaben reserviert.»

Den Ärmsten helfen

Trotzdem: Die Hilfsmillion ist eine brisante Million, denn: Es handelt sich um Steuergelder. Ein Geben und Nehmen, wie Dominique Reymond relativiert. Kirchen würden von den Steuern von Gläubigen und Gewerbetreibenden leben. «Deshalb ist es notwendig, dass diese Gelder in die Allgemeinheit zurückfliessen.»

Aufgabe der Kirche sei nicht, Geld anzuhäufen. «Sondern den Ärmsten und Benachteiligtesten zu helfen. Nächstenliebe soll nicht, darf nicht, eine leere Worthülse sein. Nächstenliebe muss das Ziel unserer Handlungen im Alltag sein. Als Privatperson – und als Kirche.»

Mit der Hilfsmillion für Bedürftige bringe sich die Katholische Kirche Region Bern nicht in finanzielle Schieflage, versichert Dominique Reymond: «Ich mache mir keine Sorgen. Dank vorsichtiger, umsichtiger Finanzpolitik steht die katholische Kirche als finanzstarke Institution da. Dies ermöglicht ihr, in Notsituationen rasch zu helfen.» Der Betrag sei hoch und werde sich in der Rechnung bemerkbar machen, relativiert Alexander Stüssi. «Aufgrund der stabilen finanziellen Situation ist das Engagement jedoch verkraftbar und gerade deshalb notwendig.»

Soziale und spirituelle Auswirkungen

Die Hilfe der Kirche ist an Bedingungen geknüpft: So müssen Ende dieses und nächsten Jahres Zwischen- und Schlussberichte vorgelegt werden. «Wir kennen die berücksichtigten Organisationen schon länger. Sie wurden in den letzten Jahren bereits überprüft, so dass ich ein gutes Gefühl habe, dass diese Gelder zielgerichtet verwendet werden», sagt Dominique Reymond von der GPK. 

Zumal ja auch das Parlament informiert und bald auch offiziell wieder mitreden kann. Es kommt am 24. Juni zum Zug. «Wir rechnen nicht damit, dass der Entscheid in Frage gestellt wird», sagt Alexander Stüssi.

Diese Meinung teilt Dominique Reymond. Er erwartet vom Kleinen Kirchenrat indes Überlegungen zum weiteren Verlauf: «Wie geht es weiter? Diese Krise hat wohl längerfristige Auswirkungen, nicht nur steuer- und finanzmässig, sondern auch sozial und spirituell. Welche Prioritäten können wir daraus ableiten, worauf können wir temporär verzichten? Diese Fragen fordern uns alle – keine leichte, aber eine spannende Aufgabe!»

 


Ein pralles Paket
Die Katholische Kirche Region Bern begleitet Menschen am Rande der Gesellschaft. Tag für Tag. Somit ist sie nah am Geschehen und kennt die Bedürfnisse dieser Menschen. In Zusammenarbeit mit der kirchlichen Fachstelle Sozialarbeit hat sie soziale Institutionen, mit denen sie auch sonst zusammenarbeitet, kontaktiert und Bedürfnisse abgeklärt, die aufgrund der Pandemie entstanden sind. Daraus ist ein Hilfspaket gewachsen, das eine Million Franken umfasst. Mit dem Paket unterstützt die Kirche rund 50 Organisationen; unter anderem die kirchliche Gassenarbeit Bern, die Passantenhilfe der Heilsarmee, Xenia, Sleeper, Entlastungsdienst Region Bern, Wohnenbern, die Beratungsstelle für Sans-Papiers etc. Die Hilfe ist unterschiedlicher Art: in Form von Einkaufsgutscheinen, als Spenden oder Leistungsvereinbarung. Am 24. Juni befindet der Grosse Kirchenrat nachträglich über das Hilfspaket. Dann wird eine erste Bilanz gezogen und die nächsten Schritte werden besprochen. 
 

 

Linktipp:

Medienmitteilung zum Corona-Hilfspaket der Katholischen Kirche Region Bern vom 27. März 2020

 

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