Foto: Françoise Alsaker

«Die Rute ist heute nur noch Deko»

Es dunkelt früh, der Advent ist eingekehrt. Wie alle Jahre trifft man sie wieder – im Wohnquartier, auf dem Wochenmarkt oder im Wald: Der Samichlous und sein Schmutzli sind unterwegs. Ihr Besuch lässt Kinderherzen höher schlagen und die Augen aller leuchten.

Es dunkelt früh, der Advent ist eingekehrt. Wie alle Jahre trifft man sie wieder – im Wohnquartier, auf dem Wochenmarkt oder im Wald: Der Samichlous und sein Schmutzli sind unterwegs. Ihr Besuch lässt Kinderherzen höher schlagen und die Augen aller leuchten.


von Anouk Hiedl


«pfarrblatt»: Wie bist du Samichlous geworden?

Samichlous: Ich bin in Luzern aufgewachsen, wo mich der Samichlous als Kind besucht hat. In der Jungwacht bin ich mit ihm mitgegangen. Im Kanton Bern musste ich erst ein gewisses Alter erreichen und reifer werden, um das zurückzugeben, was ich als Kind erlebt hatte. Als hier für die Samichlousbesuche Not am Mann war, bin ich dann auf Anfrage gleich eingestiegen und nun seit 19 Jahren mit Begeisterung dabei.

Erinnerst du dich an deinen allerersten Familienbesuch?

Ja, es war der 6. Dezember 2000, und wir hatten eine Tour zu sieben Familien vor uns. Die erste kannte ich und hatte Lampenfieber. Kaum in der warmen Stube, ergab sich alles Gewie von selber. Ich durfte das Kind fürs gute Rechnen rühmen. Da ich wusste, dass der Vater Finanzer war, lobte ich auch ihn und schenkte ihm ein Nüssli. Er fiel aus allen Wolken, war aber hocherfreut. Tags darauf begegneten wir uns, und keiner erwähnte den Vorabend. Erst Monate später fragte er mich, ob ich an jenem Samichloustag bei ihnen gewesen sei.

Wie bereitest du dich auf deine Familienbesuche vor?

Vor unseren Touren werden wir zurechtgemacht, bis alles richtig sitzt und passt. In dieser Stunde verwandle ich mich auch innerlich. Wenn wir dann losziehen, bin ich wirklich der Samichlous, mit Leib und Seele. Anhand der Stichworte der Eltern schreibe ich mir im Voraus für jedes Kind einen altersgemässen Gesprächsleitfaden auf. Diesen lege ich in mein goldenes Buch. Oft frage ich als Erstes, was das Kind am liebsten tue, und so entwickelt sich ein Gespräch.

Der Fokus liegt auf dem, was das Kind gut kann, und ich ermutige es, so weiterzumachen. Weniger Erfreuliches spreche ich freundlich an, es gibt immer Dinge, die man noch lernen muss. Mein Schmutzli begleitet mich und hilft mir, den schweren Sack zu tragen. Auch er verteilt Geschenke – die Rute ist heute nur noch Deko.

Wir versuchen, alle Anwesenden in diesen gemeinsamen Moment einzubeziehen. So lobe ich die Eltern für ihren Einsatz und schenke auch ihnen ein Mandarinli – das gibt viel Vitamin C und Energie fürs kommende Jahr. Und den Grosseltern rufe ich in Erinnerung, dass wir uns schon begegnet sind, früher, als sie noch Kinder waren … In dieser familiären Atmosphäre werden wir mit Versen, Liedern und Musik reich beschenkt. Ja, und am Schluss trauen sich sogar die ganz Kleinen, mir die Hand zu geben, und wachsen über sich hinaus.

Diese Abende sind also auch für dich etwas Besonderes.

Oh, ja! Einmal, ich war mitten im Gespräch mit den Kindern, klingelte der Küchenalarm. Ich fragte, ob da vielleicht etwas anbrenne. Beim Abschied gab uns die Mutter eine ofenfrische Pizza mit. Leider konnte ich diese nicht sofort essen – ich hatte einfach zu viele Haare im Gesicht.

Auch im Rorate-Gottesdienst im Wald und im Altersheim dürfen wir jedes Jahr ganz schöne Momente und Stimmungen miterleben. Mit den Senioren singen wir, begleitet von einer Pianistin, alte Adventslieder. Danach erzähle ich eine Geschichte, gehe zu jedem Einzelnen und wünsche Mut und Gesundheit.

Einmal verriet mir die älteste Bewohnerin einen lang gehegten Wunsch. Um ihr diesen zu erfüllen, kniete ich vor ihr nieder. So konnte die 104-Jährige zum ersten Mal in ihrem Leben dem Samichlous einen Kuss auf die Backe geben. Ein anderes Mal ging ich mit dem Schmutzli in die Demenzabteilung. Auch da brachten wir Gaben, machten Mut und erinnerten an unsere Begegnungen von früher. Als wir aufbrechen wollten, flüsterte die Pflegefachfrau: «Samichlous, lueg einisch.» Einer alten Frau, die nicht mehr alleine essen und auch nicht mehr sprechen konnte, rollten Tränen über die Wangen. Jedes Jahr erfüllen mich diese Besuche zutiefst, es ist ein super Job!

Gibt es Unterschiede zwischen den Kindern von früher und heute?

Ich stelle eher Konstanten fest. Die Kinder werden auch heute für ihre Talente, ihre guten Eigenschaften und für gute Entwicklungen gelobt. Und wie früher gilt es, Geschwisterstreit, Unordnung im Zimmer, hinausgezögerte Hausaufgaben oder den Anstand zu verbessern. Die Themen sind gleich geblieben.

Verändert hat sich, wo man den Samichlous trifft. Die Anmeldungen für Familienbesuche zu Hause sind weniger geworden. Die Leute suchen den Samichlous fürs Gemeinschaftserlebnis heute vermehrt im Wald oder im Dorf auf. Wo auch immer, ich möchte diesen Menschen Freude bereiten und die Tradition des St. Nikolaus weitergeben. Auf dem Adventskranz brennt die erste Kerze. Ich beziehe mich oft darauf, dass wir uns in dieser Zeit auf die Geburt Christi vorbereiten.



Möchten auch Sie einmal pro Jahr bei der Organisation, als Samichlous, Schmutzli, Fahrer*in, Schminker*in oder Helfer*in mitwirken? Dann melden Sie sich bei Ihrer Pfarrei. Die Kontakte finden Sie online HIER oder im «pfarrblatt» ab Seite 8.

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