Sich gegen das Fliegen zu entscheiden, ist eine Frage der Gerechtigkeit: Bernd Nilles, Geschäftsleiter des Hilfswerks Fastenopfer. Foto: zVg

«Die Schweiz ist eines der verwundbarsten Länder im Bereich Klima»

Ein Gespräch mit Bernd Nilles, Geschäftsleiter des Hilfswerks Fastenopfer, über Schüler- und Frauenstreiks und die schweizer Klimapolitik.

Schüler*innen gehen auf die Strasse. Doch die Schweiz stellt keine zusätzlichen Klimafinanzierungsmittel bereit. Das bedauert der Geschäftsleiter des Hilfswerks Fastenopfer, Bernd Nilles. Im Interview mit kath.ch erläutert er, warum das Hilfswerk sich ständig neu orientieren und anpassen muss und weswegen die Frauen Ende Woche auch für die Männer demonstrieren.

Interview: Georges Scherrer, kath.ch

kath.ch: Wo steht das Fastenopfer heute?

Bernd Nilles: Das Fastenopfer ist so wie die ganze Gesellschaft: immer in Bewegung. Wir müssen uns ständig neu orientieren. Die Regierung überlegt sich andere Regeln für die Entwicklungszusammenarbeit. Die Bürger engagieren sich fürs Klima. Auch externe Faktoren prägen unsere Arbeit. Wir sind ein starkes Team und leisten gute Arbeit. Zunehmend wichtig wird es, unsere Arbeit auch sichtbar zu machen, um die nötige Unterstützung aus der Gesellschaft zu erhalten.

Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie den Namen Greta hören?

Greta Thunberg ist eine von vielen Schüler*innen die sich für eine lebenswerte Zukunft einsetzen. Wir haben in den letzten Tage auch das junge Mädchen aus China, Howey Ou, kennen gelernt, die sich hinsetzt und für das Klima demonstriert. Dieses Mädchen ist äusserst mutig.

In jedem Jahrzehnt hat es wichtige Themen gegeben. Es gab die Proteste gegen den Golfkrieg, die Anti-Atomkraft-Bewegung. Jetzt ist es ein Thema, das auch Fastenopfer sehr am Herzen liegt: Klimagerechtigkeit. Deshalb bin ich froh, dass Greta Thunberg und die vielen Tausenden, Millionen Schüler*innen weltweit darauf aufmerksam machen, dass auch heutige und zukünftige Generationen ein Recht auf eine Zukunft haben. Papst Franziskus hat übrigens schon in der Umweltenzyklika «Laudato si» geschrieben, dass der Klimawandel eine der grössten Generationen-Ungerechtigkeiten ist. Das nehmen die Schüler*innen ernst.

Ist dieser Aufstand der Jungen für Fastenopfer eine Chance, seine Anliegen besser unter die Leute bringen?

Es kommt jetzt darauf an, wo die Schüler*innen den Akzent setzen. Ich bin schon selbst an eine solche Demo gegangen. Ich war neugierig, wie das läuft, und habe gesehen, dass die Schüler*innen tatsächlich auch zu «Climate Justice» aufrufen, also Klimagerechtigkeit einfordern. Das ist eine der Kernbotschaften von Fastenopfer. Wir haben eine Atmosphäre, die wir uns als Menschheit teilen. Ungefähr zehn Prozent der Weltbevölkerung vereinnahmen diese Atmosphäre für sich und verschmutzen sie mit CO2, mit einem Schaden de facto für hundert Prozent der Weltbevölkerung. Indem wir die Atmosphäre so stark überbelasten, senkt sich auch der Spielraum für die Länder des globalen Südens, sich zu entwickeln, so dass auch die Menschen dort Zugang zu Energie bekommen.

Somit ist es auch eine Frage der Gerechtigkeit und deshalb ist es wichtig, dass Menschen sich entscheiden, aus Solidarität nicht zu fliegen beziehungsweise ihren ökologischen Fussabdruck zu senken.

Heute bemüht das Fastenopfer das Bild des undichten Eimers, um die Entwicklung in der Förderung der Armen aufzuzeigen. Was zeigt dieses Bild auf?

Das Bild steht für eine Entwicklung, die Fastenopfer schon lange beobachtet. Wir können keine Hilfe leisten, die die Rahmenbedingungen ignoriert. Wenn ich einfach nur isoliert eine Hilfe leiste, einen Geldtransfer mache oder einen Brunnen irgendwo hin baue, aber mir nicht anschaue, wie das Umfeld ist, wie es den Menschen geht, warum sie überhaupt arm sind, dann kann meine Hilfe nicht wirken.

Der Eimer ist mit Gutem gefüllt. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In Senegal hat eine Gemeinschaft gute Ideen, will etwas für sich verändern. Aber dieses gute Projekt wird durch den Klimawandel, durch Unruhen, durch Gewalt, durch Korruption und Wucherer bedroht – das symbolisieren die Löcher im Eimer.

Das Fastenoper ist darauf spezialisiert, immer auch mit den örtlichen Politiker*innen zu sprechen, mit den Verwaltungen, mit den Behörden – das gilt auch für die Schweiz. Manchmal ist die Schweiz ja auch mitverantwortlich für ein Problem in einem unserer Partnerländer.


Das heisst, dass es auch in der Schweiz einen undichten Eimer gibt.

Selbstverständlich gibt es in der Schweiz einen undichten Eimer. Ich nenne zum Beispiel den Finanzierungseimer. Um die Probleme auf der Welt zu lösen, müssen wir einen fairen Beitrag leisten. Wir haben uns ja im Rahmen der Vereinten Nationen verständigt, dass 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes in diesen Eimer rein gehen soll, um die Armut zu bekämpfen.

Das Schweizer Parlament hat sich nun 0,5 Prozent zum Ziel gesetzt statt 0,7. Der neue Entwurf für die Entwicklungszusammenarbeit sieht gar nur 0,45 Prozent vor. Das reicht nicht aus. Hinzu kommt, dass wir neue Probleme haben. Stichwort Klimawandel. Und da ist es meines Erachtens ein Skandal, dass wir hier in der Schweiz, bisher zumindest, keine zusätzlichen Klimafinanzierungsmittel bereitstellen. Alles, was wir gegen den Klimawandel tun, sollte zusätzlich zu den 0,7 Prozent Entwicklungshilfe bereitgestellt werden. Dafür setzen wir uns als Fastenopfer, zusammen mit vielen anderen, ein.


Vergrössert der Klimawandel die Löcher in diesem Eimer?

Es ist eine Frage der Perspektive. Es fliesst immer mehr Geld in die Klimafinanzierung und solange der Bund keine zusätzlichen Mittel bereit stellt, steht damit natürlich weniger Geld für die Armutsbekämpfung zur Verfügung.

Deswegen haben die Länder der Erde im Rahmen der Vereinten Nationen beschlossen, dass das Geld zur Bekämpfung des Klimawandels zusätzlich fliessen soll. Daran sollten wir uns in der Schweiz auch halten und vorbildlich voran gehen.


Der Klimawandel trifft bereits die Ärmsten der Armen. Wie sieht es mit den Auswirkungen auf die Schweiz aus?

Die Schweiz ist laut der Klimaforschung eines der verwundbarsten Länder im Bereich Klima. Hier steigt die Temperatur doppelt so schnell wie im weltweiten Durchschnitt. Das zeigt sich auch am Beispiel der Gletscher. Wenn ich richtig informiert bin, ist ab diesem Sommer der Pizol Gletscher kein Gletscher mehr. Und die Bauern in der Schweiz können sehr genau sagen, was sich alles für sie ändert. Die Schweiz wird den Klimawandel sehr stark zu spüren bekommen.

Aber vor uns trifft es die Ärmsten am Härtesten. Deshalb leistet Fastenopfer auch Hilfe um den Schaden für sie zu begrenzen. Die Schweizer*innen sind von der Klimaerwärmung auch betroffen, aber noch nicht in dem Ausmass, dass es für uns lebensbedrohlich wäre.


Im Rahmen der Hilfe von Fastenopfer in 14 Ländern gewinnt heute die Geschlechtergerechtigkeit an Bedeutung. Am 14. und 15. Juni werden in der Schweiz Frauen auf die Strasse gehen, um ihre Rechte einzufordern. Sollen die Frauen an diesen beiden Tagen auch für die Männer demonstrieren?

Die Frauen demonstrieren sicherlich auch für die Männer, nämlich dafür, dass die Männer sich verändern und dass Frauen Chancengleichheit erhalten. Es werden übrigens auch Männer mit den Frauen solidarisch an deren Seite demonstrieren.

Solche Fragen spielen auch bei Fastenopfer eine Rolle. Nachdem wir in der Projektarbeit jahrelang zunächst einmal die Frauen gestärkt haben, finanzieren wir inzwischen auch Programme und Workshops mit Männern und Frauen - und auch nur mit Männern. In Kolumbien ist es zum Beispiel so, dass viele Männer Gewalt gegenüber ihren Frauen ausüben. Wir haben festgestellt, dass wir über diese Workshops die Gewalt ganz stark reduzieren. Ich glaube, dass der Frauenstreik für uns Männer eine Gelegenheit bietet, uns solidarisch gegenüber den Anliegen der Frauen zu zeigen und entsprechend zu handeln.

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