Sonntägliche Feier der eritreisch-katholischen
Gemeinschaft in der Pfarrei St. Michael in Wabern. Foto: zVg

Ein Leben in der Warteschlaufe

Seit Juni 2016 werden Menschen aus Eritrea nicht mehr alle als Flüchtlinge anerkannt. Die FASA erlebt Einzelschicksale.

Seit Juni 2016 werden Menschen aus Eritrea nicht mehr alle als Flüchtlinge anerkannt. Davon betroffen ist auch die eritreische Glaubensgemeinschaft in der Region Bern. Nach langem Bangen und Hoffen finden viele Reisen kein Ende.


Im Warteraum der Fachstelle Sozialarbeit von Katholisch-Bern sitzt P.S. mit hängendem Kopf. Nach zwei Jahren Warten wies das Staatssekretariat für Migration (SEM) sein Asylgesuch ab. Er floh vor drei Jahren als Minderjähriger aus Eritrea in die Schweiz. Sein Vater hatte sich geweigert, nach der Entlassung aus dem Militärdienst eine Waffe zu tragen und musste sich verstecken. Auch P.S. – selbst im Militäralter – wurde bedroht, versteckte sich mehrere Monate und reiste schliesslich illegal nach Äthiopien. Nach einer Odyssee durch die Wüste und übers Mittelmeer stellte er in der Schweiz ein Asylgesuch. Doch hier folgte nicht das erhoffte «Ankommen», sondern ein Leben in der Warteschlaufe. Das Asylverfahren zog sich in die Länge und die Möglichkeiten, sich zu beschäftigen oder gar ein neues Leben aufzubauen, waren stark begrenzt. P.S. nutzte die Zeit trotzdem, besuchte einen Deutschkurs und engagierte sich in einer orthodoxen Glaubensgemeinschaft. Er hat dort das Zusammensein aktiv geprägt.

Der Wind hat sich gedreht
Seit dem 23. Juni hat das SEM die Praxis bei der Beurteilung von Asylgesuchen von Menschen aus Eritrea entscheidend geändert – ohne gesicherte Hintergrundinformationen. Neu werden Asylsuchende aus Eritrea nicht mehr als Flüchtlinge anerkannt oder vorläufig aufgenommen, wenn sie vorher nie für den Nationaldienst aufgeboten worden sind, davon befreit oder daraus entlassen wurden. Es wird davon ausgegangen, dass eine illegale Ausreise aus Eritrea nicht mehr in einem Masse bestraft würde, welche flüchtlingsrechtlich relevant wäre.
Die Praxisänderung ist höchst umstritten. Doch nun kommen seither vermehrt junge Menschen aus Eritrea mit einem negativen Asylentscheid in die Beratung der Fachstelle Sozialarbeit von Katholisch-Bern in die Berner Länggasse. Béatrice Panaro: «Sie sind schockiert von der Ablehnung und verstehen die Welt nicht mehr.»

Ein kleiner Hoffnungsschimmer
Bei der Sozialarbeiterin finden die Betroffenen Rechtsberatung. «Mit jeder Person lese ich die schwerverständliche Verfügung und bereite das Gespräch mit der Rechtsvertretung vor, denn jeder Asylsuchende hat das Recht, gegen die Verfügung innert 30 Tagen Beschwerde zu erheben», erklärt Béatrice Panaro. In vielen Fällen habe das SEM die Argumente in Bezug auf Militärdienst und illegale Ausreise zu wenig gewürdigt. Jetzt heisst es abwarten, wie das Bundesverwaltungsgericht die vielen Beschwerden beantwortet. Die Ungewissheit und die Angst vor möglichen Konsequenzen machen P.S. zu schaffen. Er getraut sich kaum mehr aus dem Haus. Sein Glaube und die erfahrene Unterstützung lassen ihn die Hoffnung nicht verlieren. Béatrice Panaro: «Am Ende jeder Begegnung spüre ich, dass die Personen etwas gestärkt weggehen.»
Trotz Wegweisungsentscheid werden sie nicht alleine gelassen.

Eveline Sagna

 

 

«Aus Eritrea kommen keine Wirtschaftsflüchtlinge»

Abba Mussie Zerai, Priester der eritreisch-katholischen Gemeinschaft in der Schweiz, beantwortet Fragen des «pfarrblatt».

Was halten Sie von der Abweisung von Flüchtlingen aus Eritrea?
Einige Schweizer Parlamentarier sagen, in Eritrea gäbe es keine Probleme mit Menschenrechten, die Flüchtlinge seien Wirtschaftsmigranten. Doch seit zehn Jahren hat das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in Eritrea keinen Zugang zu Gefangenen aus politischen, religiösen oder Gewissensgründen. Die Menschen fliehen wegen mangelnder Rechte!

Warum flüchten diese Menschen?
Vor 1997 waren die Menschen in Eritrea arm, aber frei. Seit dem Krieg werden alle gezwungen, auf unbestimmte Zeit Militärdienst zu leisten. Es gibt weder Gewissens- noch Bewegungsfreiheit. Junge Menschen können nichts entscheiden bezüglich Studium oder Beruf – sie fühlen sich als Sklaven des Staates. Hunger, Armut und Wirtschaftskrise werden genutzt, um den Willen des Volkes zu beugen. Vor diesem Schicksal flüchten die Menschen.

Interview: Eveline Sagna


Hinweis: Einmal pro Monat wird der Gottesdienst von Abba Mussie Zerai geleitet und jeden ersten Sonntag im Monat zusammen mit den Deutschsprachigen gefeiert. Die Gemeinschaft umfasst rund 250 Personen aus dem Kanton Bern, vor allem Familien mit kleinen Kindern und junge Männer – viele von ihnen haben ihre Heimat bereits als Minderjährige verlassen.

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