Familienvielfalt in der Kirche

Anfang August hat der Churer Bischof Aussagen über Homosexualität gemacht, welche viele verletzt und heftige Reaktionen hervorgerufen haben. Die Auseinandersetzungen zeigen die Kluft zwischen kirchenamtlich propagiertem Ehe- und Familienideal und der gesellschaftlich gelebten Vielfalt von Familien- und Partnerschaftsformen.

Diese vielfältigen Lebensformen sind längst in der katholischen Kirche angekommen und werden dort gelebt und diskutiert. Dazu beigetragen hat auch die Umfrage der Bischöfe im Hinblick auf die Bischofssynode in Rom zum Thema Familie. Ein neues Buch von Arnd Bünker, Leiter des pastoralsoziologischen Institutes und von Hanspeter Schmitt, Professor für theologische Ethik in Chur, möchte die unterschiedlichen Erfahrungen familiären Lebens aufzeigen und reflektieren.

Den ersten Teil des Buches bilden ausführliche Porträts von katholischen Familien. Die geschiedene Katholikin, welche nun mit einemreformierten Mann zusammenlebt, erzählt vom Engagement der Familie im pfarreilichen Leben. Ihre beiden Kinder finden es unfair, dass ihre Eltern nicht kirchlich heiraten dürfen. Die Geschichte eines portugiesischen Secondo- Paares zeigt deren Emanzipation vom konservativen Katholizismus ihrer Kindheit nicht nur in moraltheologischen Fragen, sondern auch bezüglich des Gottesdienstbesuches. Im dritten Porträt schildert eine Mutter mit drei Kindern, wie sie sich von ihrem Mann trennte und sich in eine Frau verliebte. Heute leben die beiden Frauen mit fünf Kindern im katholischen Pfarrhaus eines Aargauer Dorfes.

Die Erfahrungen der Kinder mit der Trennung ihrer Eltern sind Thema, aber auch deren religiöse Erziehung und die Firmung. Für das vierte, streng katholisch aufgewachsene Ehepaar ist der Kirchenbesuch wichtig und vielen Veränderungen steht es skeptisch gegenüber. Trotzdem missfallen ihnen Kleriker, die rigide an kirchlichen Regeln festhalten. Das letzte Porträt schildert eine verwitwete Katholikin mit ihren erwachsenen Töchtern. Die katholische Kirche gehört zu ihrem Leben, aber sie hat sich von ihr entfremdet. Trotzdem besteht sie darauf, dass sie katholisch ist. Eine erschütternde Geschichte.

Die Reflexionen im zweiten Teil des Buches beginnen mit einem Gespräch mit Rainer Bucher, Eva-Maria Faber und Stephan Goertz. Sie belegen je eine Professur in Pastoraltheologie, Fundamentaltheologie und Moraltheologie an einer katholischen Fakultät und vertreten neue Forschungsergebnisse, welche die gelebte Realität katholischer Menschen nicht ausblendet. Das zweite Gespräch führen eine Pastoralassistentin und zwei Pfarrer. Sie reden über ihre Erfahrungen als Seelsorgerin und Seelsorger mit geschiedenen Menschen und homosexuellen Paaren. Die Kirche soll sich nicht kritiklos dem Zeitgeist anpassen, aber wenn sie ihre Haltung zu Ehe und Sexualmoral nicht ändert, verliert sie ihre Verankerung in der Gesellschaft und damit ihre Glaubwürdigkeit. Das dritte Gespräch wird mit der Tübinger Ethikprofessorin Regina Ammicht Quinn geführt. Sie wehrt sich gegen die Körperfeindlichkeit der katholischen Kirche und argumentiert unkonventionell. Diese Haltung verhinderte ihre Berufung an einen Lehrstuhl für Moraltheologie. Das vierte Gespräch ist mit Madeleine Winterhalter von der Fachstelle «Partnerschaft, Ehe und Familie» des Bistums St. Gallen. Sie berichtet aus ihrem Berufsalltag und meint, dass eine Kirche, welche nur Verbote ausspricht, nicht mehr ernst genommen werde. Im fünften Gespräch kommt ein katholischer Theologe zu Wort, der heute als freier Ritualbegleiter arbeitet. Als Homosexueller hat er die Diskriminierung in der katholischen Kirche erlebt und ist deshalb aus der Kirche ausgetreten. Im letzten Gespräch kommt der Offizial des Bistums St. Gallen zu Wort. Er leitet Eheannulationsverfahren und plädiert trotzdem für einen neuen Weg der Kirche, weil eine Nichtigkeitserklärung der Ehe für viele Wiederverheiratete keine Perspektive ist.

Im Buch wird der Blick auf verschiedene Familienrealitäten
geweitet in der Hoffung, dass die offizielle Kirche diese anders als bisher wahrnimmt. Ansonsten werde die Emigration aus der Kirche nachhaltig erfolgen.

Gallus Weidele, Theologe und Leiter der ökumenischen Buchhandlung Voirol Bern

Familienvielfalt in der katholischen Kirche
Geschichten und Reflexionen. Hg. von Arnd Bünker, H.P. Schmitt. Theologischer Verlag Zürich 2015, 155 Seiten, Fr. 25.–. Mit Beiträgen von Heidi Kronenberg, Christina Caprez, Martin Lehmann.

Im Buch wird der Blick auf verschiedene Familienrealitäten
geweitet in der Hoffung, dass die offizielle Kirche diese anders als bisher wahrnimmt. Ansonsten werde die Emigration aus der Kirche nachhaltig erfolgen.

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