Adrienne Hochuli Stillhard (1979) Theologin/Pastoralassistentin, Zürich

Geborgen im Blick der Güte

In seinen Augen bin ich geworden wie eine, die Frieden findet. (Hld 8,10)

In verschiedenen Lebensphasen mag ich verschiedene biblische Texte. Zurzeit gefallen mir besonders jene Texte, die von der Gnade erzählen. Vor ein paar Wochen habe ich über einen Aufsatz von Fulbert Steffensky diesen Vers aus dem Hohelied für mich entdeckt. Dieses Liebeslied ist ein Lobpreis der Liebenden auf die Schönheit des anderen und gipfelt in diesem Satz der Geliebten, die ihren Frieden im Blick ihres Freundes gefunden hat. Wenn ich mich selber anblicke, merke ich, dass ich in meinen Augen oft nicht besonders gut aufgehoben bin. Ich sehe, wie unperfekt und bruchstückhaft ich bin. Aus diesem Gefühl der Unzulänglichkeit lerne ich aber, was die biblische Tradition mit «Gnade» meint.

Meine Unvollkommenheit lässt mich erkennen, dass ich den fremden Blick brauche, der mir zuspricht, was ich selbst nicht bin, der mich schön findet und ganz macht. Ich brauche diesen liebevollen Blick, in dem ich mich bergen kann, der mir Freundschaft und Vergebung schenkt. Der erbarmungslose Blick meiner Augen lehrt mich, dass ich auf den gütigen Blick angewiesen bin, der mir zuspricht, was ich selbst nicht leisten kann. Davon erzählt die Bibel, wenn sie von der Gnade spricht.

Mein Glaube an die Barmherzigkeit Gottes nährt sich aus Texten wie diesem, der vom Frieden erzählt, den ich nicht aus eigener Willenskraft und mit eigenen Waffen erkämpfen kann, sondern der mir aus Liebe geschenkt wird. Wenn ich mich gut aufgehoben fühle in den gütigen Augen eines lieben Menschen, um wie viel mehr darf ich mich bergen im gütigen Blick Gottes und darauf vertrauen, dass ich in seinen Augen schön und wohl behütet bin.

 

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