Dr. Peter Kirchschläger, Leiter des Instituts für Sozialethik ISE.

Globale Solidarität – 50 Jahre ökumenisches Engagement für eine gerechte Welt

Interview mit Peter Kirchschläger, Leiter des Instituts für Sozialethik ISE.

Im Jahr der 50. Ökumenischen Kampagne organisieren Brot für alle und Fastenopfer zusammen mit dem Institut für Sozialethik ISE der Theologischen Fakultät der Universität Luzern eine öffentliche Tagung. Der Leiter des Instituts im Interview.


von Colette Kalt, Fastenopfer


Professor Dr. Peter Kirchschläger, Sie sind Leiter des Instituts für Sozialethik ISE und werden anlässlich der Tagung zu 50 Jahre ökumenisches Engagement für eine gerechte Welt, an der Universität Luzern, ein Impulsreferat halten. Was verbinden Sie mit der Ökumenischen Kampagne?

Die Ökumenische Kampagne bedeutet für mich tatkräftiges Engagement und überzeugende Sensibilisierung für die globale Solidarität mit allen Menschen und für die Achtung unserer Erde.

Weshalb braucht es sie?

Die Welt, in der wir leben, sieht noch nicht so aus wie die Welt, in der ich leben will. Ich träume von einer Welt, in der die Menschenrechte aller Menschen realisiert werden und in der wir Sorge zur Schöpfung tragen.

Lebensbedingungen nachhaltig verbessern und Ungleichheit dauerhaft abbauen, Befragungen zeigen, dass die Öffentlichkeit zu wenig zwischen Entwicklungszusammenarbeit und Entwicklungshilfe zu unterscheiden weiss, wie lässt sich das verbessern?

Indem wir immer wieder und immer wieder anhand konkreter Lebensgeschichten von Menschen erzählen, deren Leben sich nachhaltig positiv verändert hat und die sich von Ungerechtigkeit befreien konnten. So wird die nachhaltige Wirkung der Arbeit vom Fastenopfer und von Brot für alle deutlich.

Mehr und mehr drängen Weltfirmen wie Ikea oder Nestle auch in die Entwicklungsarbeit oder Entwicklungshilfe, schaffen im globalen Süden zwar Arbeitsplätze aber die Löhne die bezahlt werden reichen hinten und vorne nicht. Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch schreibt in einem Gastkommentar der NZZ: «In der Entwicklungszusammenarbeit braucht es auch Partnerschaften mit dem Privatsektor, um Märkte zu entwickeln und produktive Unternehmen und Jobs zu schaffen. Logische Konsequenz und «nicht mehr als richtig» oder ethisch bedenklich?

Ein unternehmerischer Ansatz kann aus ethischer Sicht eine Chance darstellen – unter der notwendigen Bedingung, dass er die Menschenrechte achtet, dass er ein menschenwürdiges Leben ermöglicht und nicht als Instrument der Ausbeutung missbraucht wird. Konkret bedeutet dies, dass z. B. die bezahlten Löhne für ein menschenwürdiges Leben ausreichen müssen, dass menschenwürdige Arbeitsbedingungen garantiert sind, … Gleichzeitig muss man sich auch bewusst sein, dass ein unternehmerischer Ansatz nicht für alles die Lösung ist, denken wir z. B. an Bildung, Infrastruktur, … Beispielsweise ist ja das Bildungssystem in der Schweiz ganz bewusst auch nicht unternehmerisch organisiert.

In solchen Projekten wird wiederum für den Markt produziert, und der Markt verlangt nach Wachstum, dazu braucht es Konsum, kann dieses Wirtschaftsmodell, in dem wir mehr und mehr zu ersticken drohen, Menschen ausgebeutet werden, durchbrochen werden?

Wir sollten die Wirtschaft wieder so verstehen und praktizieren, wie sie – was gerne verdrängt wird – u. a. auch von Adam Smith gedacht worden ist: im Zusammenspiel mit Ethik, Politik und Recht. Es braucht eine globale Rahmenordnung für die freie Marktwirtschaft, welche die Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz, soziale Sicherheit und Nachhaltigkeit umfasst. Franziskus hat dies in «Evangelii Gaudium» auf den Punkt gebracht: «Diese Wirtschaft tötet», d.h. diese neoliberal entgleiste Laissez-Faire-Marktwirtschaft. Eine freie Marktwirtschaft mit einer globalen Rahmenordnung sollte eine Wirtschaft sein, die Leben fördert.

Wie soll Entwicklungszusammenarbeit aus sozialethischer Sicht sein?

Angesichts globaler Armut und des Klimawandels braucht es mehr Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit. Entwicklungszusammenarbeit soll dabei einen menschenrechtsbasierten Ansatz verfolgen, der dem «empowerment» aller Menschen dient. Dabei sollte die Entwicklungszusammenarbeit vor Augen haben, dass Entwicklung nicht allein wirtschaftliches Wachstum bedeutet, wie dies der Nobelpreisträger Amartya Sen hervorgehoben hat. Entwicklung ist ganzheitlicher zu denken. Es geht um den Abbau von Unfreiheiten. Es geht beispielsweise um den Zugang zu Schulen und Gesundheitsversorgung, es geht um bürgerliche und politische Rechte. Ziel der Entwicklungszusammenarbeit sollte in letzter Konsequenz sein, selbst überflüssig zu werden. Und in der gegenwärtigen Diskussion in der Schweiz scheint es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass Entwicklungszusammenarbeit nicht für die wirtschaftlichen Partikularinteressen der Schweiz, sondern im Sinne globaler Solidarität für die Welt durchgeführt wird.

Wirtschaftsvertreter/innen beschweren sich über die Konzernverantwortungsinitiative, es werde eine Prozesswelle losgetreten, die Schweiz werde nicht mehr konkurrenzfähig sein? Warum ist gerade aus ethischer Sicht die Initiative ein richtiger Schritt?

Zu ihrer ersten Frage: Es wird keine Prozesswelle geben, weil nur Opfer von Menschenrechtsverletzungen Klagen einreichen können und Einiges beweisen müssen. Zudem kennt die Schweiz keine Sammelklagen.

Zu Ihrer zweiten Frage: Pragmatisch betrachtet ist mehr Selbstbewusstsein der Schweiz angebracht: Multinationale Konzerne haben ihre Hauptsitze in der Schweiz vor allem aufgrund von politischer Stabilität, Bildungsqualität, Innovation, Lebensstandard, attraktiven Zeitzonen für internationalen Handel. Darüber hinaus schaden Menschenrechtsverletzungen durch multinationale Konzern dem Ruf der Schweiz. Schliesslich haben Menschen hierzulande gemäss Art. 35 der Schweizerischen Bundesverfassung das Recht, dass der Staat multinationale Konzerne mit Sitz in der Schweiz zur Achtung der Menschenrechte bringt und so Arbeitnehmende bei menschenrechtskonformen Arbeitgebenden tätig sein können. Letzteres können ja die Arbeitnehmenden nicht je selbst überprüfen.

Aus ethischer Sicht ist die Konzernverantwortungsinitiative ein richtiger Schritt, da alle Menschen Träger*innen von Menschenrechten sind. Menschen verlieren ihre Menschenrechte auch nicht einfach, wenn sie es mit multinationalen Konzernen zu tun haben. Da leider multinationalen Konzerne mit Sitz in der Schweiz die Menschenrechte verletzen (u. a. vergiftet Glencore Flüsse im Kongo und die Luft in Sambia, der Basler Konzern Syngenta verkauft tödliche, bei uns schon lange verbotene Pestizide, Schweizer Goldraffinerien greifen auf Kinderarbeit zurück), muss dringend etwas dagegen unternommen werden.

Was dürfen die Zuhörerinnen und Zuhörer von ihrem Referat erwarten?

Ausgehend vom Menschenrecht auf Entwicklung werde ich versuchen, die Entwicklungszusammenarbeit sowohl mit Wirtschaftspolitik als auch mit dem individuellen Konsum in Verbindung zu setzen. Dabei werde ich auch darauf eingehen, dass mit Macht, Handlungsmöglichkeiten und Einfluss immer eine entsprechende Verantwortung korrespondiert. Mehr möchte ich nicht verraten – ich freue mich auf Ihr Kommen!

 

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