Bild: cc, Daveness_98, flickr.com

Hat die islamische Welt ein Problem?

Das Göttliche ist streitbar geworden.

Als ob wir das alles nicht schon einmal gesehen hätten? Wutentbrannte Menschen. Vorwiegend Männer, vorwiegend jung, mehrheitlich bärtig. Feuer, viel Feuer. Brennende Fahnen mit Füssen getreten. Erhobene Fäuste. «Allahu akbar» schreiend, Jihad-Fahnen schwingend. Bürgerkriegsähnliche Szenarien vor westlichen Botschaften und die Ermordung Unschuldiger. Wir haben dies tatsächlich schon gesehen. Mehrfach, Ende der 1980er Jahre, anlässlich der Publikation der «Satanischen Verse» von Salman Rushdi, zu Beginn des neuen Jahrtausends, als ein dänischer Karikaturist die Feder zu tief in die Tinte tränkte und übermütige Karikaturen zeichnete. Und jetzt ist es wieder soweit. Den Sturm der Entrüstung, den der amerikanischen Film «Innocence of Muslims» (Die Unschuld der Muslime) in weiten Teilen der islamischen Welt ausgelöst hat, sind ein bedauerliches Déjà-vu, das sich nach dem gleichen medienwirksamen Muster abspielt. Der Islam, der Koran, der Prophet Muhammad werden unbotmässig angegriffen, was die Muslime sprichwörtlich auf die Barrikaden bringt, weil sie sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlen.

Eines sei vorweggenommen, der Trailer, den ich vor ein paar Tagen auf mein Facebook-Account gepostet bekommen habe, ist ein billiges Machwerk. Der viertelstündige Vorfilm macht nicht Lust auf mehr, er ist weder künstlerisch noch inhaltlich ein cinematografisches Gustostückerl. Das was bisher übers Internet flimmerte, bedient bekannte Clichés: Der Westen wird zum x-ten Mal Zeuge eines rückständigen Islams mit seinen fanatischen Muslimen, die wegen eines schlechten Filmchens ausflippen. Arabischer Frühling hin oder her. Die islamische Welt ihrerseits fühlt sich ebenso darin bestätigt, dass der Westen und die USA die Muslime im Visier hätten und in heimtückischer Schadenfreude eine Art «geistigen» Kreuzzug gegen sie führten. Extremisten hüben wie drüben sind es, die letzten Endes von solchen Manöver profitieren und das Misstrauen zwischen der islamischen und der nichtislamischen Welt schüren.

Ein weiterer Aspekt betrifft die Grenzziehung zwischen Meinungsfreiheit und Blasphemie beziehungsweise die Möglichkeit der Kritik an religiösen Inhalten ganz allgemein, seien sie noch so heilig. Der Aufklärung, die den Menschen über den Verstand definierte und Werte wie Toleranz, Glaubens- und Meinungsfreiheit entwickelte, hat auch dazu geführt, dass das Göttliche streitbar geworden ist (was allerdings ein paar Jahrhunderte gedauert hat). Diese Entwicklung hat die islamische Welt so nicht mitgemacht, obwohl es durchaus aufklärerische Ansätze gegeben hat. Ins 21. Jahrhundert hat sich davon fast nichts herübergerettet. Im Gegenteil. Heute hat der Islam in weiten Teilen der islamischen Welt ein intolerantes Gesicht. Politische und wirtschaftliche Frustration der Menschen, woran der Arabische Frühling übrigens noch nicht viel geändert hat, und der Einfluss der reichen Golfstaaten mit ihrer rigiden Auslegung des Korans sind einige Gründe dafür. Leider. Die islamische Welt hätte wichtigere Probleme, als sich von tendenziösen «Produktionen» zum Aufruhr hinreissen zu lassen und sich der Lösung wirklicher gesellschaftlicher Herausforderungen wie der Bekämpfung von Armut und Analphabetismus zu entziehen. Doch genau das geschieht derzeit. Der Wirbel, den wir dieser Tage erleben, ist auch Ausdruck einer islaminternen Krise. Hat die islamische Welt ein Problem? Derjenige Teil, der nicht gewaltfrei mit Kritik umgehen kann, auf jeden Fall. 

Jasmin El-Sonbati, geboren in Wien, aufgewachsen in Kario und in Basel. Gymnasiallehrerin, Autorin und Referentin. Autorenportraits

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