Unser Dasein ist eingebunden in Abhängigkeiten. Ursula Fischer versteht Sterben als Aufbruch zu einem neuen, ewigen Leben. Foto: Keystone, U. Markus

«Ich wünsche mir, dass ich neugierig bleibe bis zum Schluss»

Interview mit Ursula Fischer, Mitglied in der Ökumenischen Arbeitsgruppe Palliative Care in der Region Bern.

Ursula Fischer ist Mitglied in der Ökumenischen Arbeitsgruppe Palliative Care in der Region Bern. Hier werden seelsorgerische Aspekte für die Palliative Care besprochen. Ursula Fischer hat nicht nur eine Ausbildung in Kranken- und Intensivpflege, sie war auch viele Jahre Berufsschullehrerin im Gesundheitswesen. Anschliessend studierte sie Theologie und ist heute Theologin in der Dreifaltigkeitskiche Bern. Hier arbeitet sie unter anderem als Spitalseelsorgerin am Lindenhofspital. Ein Gespräch über das Sterben und den eigenen Tod.

«pfarrblatt»: Inwiefern hilft Ihnen in der seelsorgerlichen Begleitung schwerkranker Menschen ihr Hintergrund als Pflegefachfrau?
Ursula Fischer: Ganz allgemein die Vertrautheit mit dem Spitalalltag sowie das Wissen um die verschiedenen Fachbereiche und Stationen mit ihren Besonderheiten. Diese Kenntnis erleichtert mir beispielsweise den Zugang zu den unterschiedlichsten spitalinternen Berufsgruppen; besonders natürlich zu den Pflegenden. In der Regel sind sie für mich die ersten Ansprechpartner, wenn ich eine Abteilung be trete. Natürlich ist es auch von Vorteil, dass ich die medizinische Fachsprache kenne. Wird mir von Symptomen, Diagnosen oder bevorstehenden Therapien erzählt, bin ich rasch im Bild. Hintergrundinformationen dieser Art helfen mir manchmal bei Gesprächen. Werde ich zu sterbenden Patienten beispielsweise auf die Intensivpflegestation gerufen, lenkt mich das «Rundherum» nicht ab. Das «Blinken » und «Piepsen» der Apparaturen kann ich also einordnen und es stört mich nicht in der Kontaktaufnahme mit den Schwerstkranken. Diese Menschen sind ja oft von vielen Geräten umgeben, über Schläuche mit ihnen verbunden. Ein Umstand, der sich befremdlich auf Angehörige auswirken kann, sodass sie auf Abstand bleiben. Im Wissen darum versuche ich, ihnen die Angst zu nehmen und mit ihnen Barrieren zu überwinden, beispielsweise indem ich sie ans Bett führe und sie unterstütze im Aushalten der belastenden Situationen einer Intensivstation.

Wie können Sie ganz konkret als Theologin einer sterbenskranken Frau helfen?
Zunächst im sich wirklich Zeitnehmen und achtsamen Hinhören (mit den Ohren und dem Herzen), ob die Patientin überhaupt etwas von mir als Seelsorgerin möchte und wenn ja, was es ist, das sie erwartet. Manchmal sind es Fragen, die Patienten umtreiben. Dann mag ein klärendes Gespräch helfen. Mitunter geht es aber auch um die stille Präsenz, das bewusste Mitgehen und Aushalten von dem, was ein Patient erlebt an Schmerz und Wut, Trauer und Hoffnung. Dann braucht es ein (möglichst gemeinsames) Herausfinden, was gut tut und stützt. In einer Sprache, die nicht vereinnahmt. Vor allem, wenn der Blick auf ein grosses Ganzes gelenkt wird, das unsere Endlichkeit übersteigt, das bleibt, wenn alles vergeht. Ich drücke das bewusst in dieser Offenheit aus. Die Rede von Gott, das Vermitteln seiner Gegenwart, braucht für viele Menschen heute grosse Behutsamkeit. Manchmal bitten PatientInnen aber auch sehr direkt um Gebet und Segen; ein Wunsch, den ich gerne erfülle.

Was macht das Leben auch noch ganz am Schluss aus? Was kann trotz Krankheit und angesichts des Todes lebenswert sein?
Mitunter das «Glück der guten Erinnerung». Das Zurückschauen auf Lebensabschnitte, die gelungen sind, in denen man grosses Wohlbefinden erfuhr, die einen mit Freude und Stolz erfüllen. Wenn Menschen sich schöne Erinnerungen intensiv vergegenwärtigen können, kann das die Lebensqualität sehr positiv beeinflussen. Oft sind es auch die kleinen alltäglichen Dinge, die gerade Kranke sehr bewusst wahrnehmen können: der Duft von frischem Kaffee, ein Stück Schokolade, das Bild gegenüber an der Wand, Fotos, Besuche, die Unterstützung durch Freiwillige, Musik, Hörspiele ... Und natürlich die Prise Humor. Von der lebt ein Mensch bis zum Schluss. Und selbstverständlich auch die konkrete Hilfe durch Nahestehende, all das zu ordnen und in die Wege zu leiten, was der Schwerkranke geregelt haben möchte.

Können Sie schildern, wie Menschen sterben? Gibt es Gemeinsamkeiten?
Dass ein nächster Atemzug der letzte sein wird, ist wohl die einzig wirkliche Gemeinsamkeit beim Sterben. Zwar mag es äusserlich, auf der körperlichen Ebene, Übereinstimmungen geben wie die Eintrübung des Bewusstseins, eine Reduktion der Körpertemperatur, die Abflachung der Atmung oder die Veränderung der Gesichtszüge. Inwendig, auf der seelisch-geistigen Ebene, aber wird Sterben wohl so vielgestaltig und einmalig sein, wie des Menschen Leben selbst. Sterben kann erwünscht, erwartet oder auch gefürchtet sein. Manche Menschen sterben plötzlich, andere nach langem Leiden, unruhig oder mit grosser Gelassenheit. Das individuelle Erleben von Sterben, wie Menschen es selbst erfahren, wird letztlich ein grosses Geheimnis bleiben.

Das Thema «selbstbestimmtes Sterben» ist bei uns im Hinblick auf die Sterbehilfe ein Dauerbrenner. Was heisst «selbstbestimmtes Sterben» für sie als Theologin?
Unser Dasein ist eingebunden in Abhängigkeiten. Das ganze Leben spielt sich ab in einem Gefüge, einem Kontinuum von grosser Bedürftigkeit, beispielsweise als Kind, und maximaler Selbstständigkeit, beispielsweise als erwachsener, gesunder Mensch. Nie leben wir völlig autonom. Eine Existenz ohne Hilfe und Unterstützung durch andere ist praktisch unmöglich. Denken wir nur daran, wie viele mitgewirkt haben, dass ich heute meinen Kaffee trinken konnte. Wir bleiben Angewiesene zu aller Zeit. Besonders in der letzten Lebensphase vor der Tod, genauso wie in der ersten Lebensphase nach der Geburt. Ich glaube nicht, dass wir an Würde verlieren, wenn wir mit Einschränkungen oder vollständiger Abhängigkeit unser Sterben leben. Ich weiss, das kann eine ganz schwierige Aussage für Menschen sein, die grosses Leid durchmachen. Dennoch, ein selbstbestimmter Bruch mit dem Leben kommt meines Erachtens dem Sterben in die Quere. Weil, so bin ich überzeugt, ein natürlicher, unverkürzter Sterbeprozess das Leben auf seine Weise abrunden und uns befähigen will, dem Tod entgegen zu gehen. Vielleicht verfehlen wir gerade durch die Einnahme von Gift (Exit) unseren individuellen Tod, den wir so selbstbestimmt gestalten wollen. Besser ist, die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Bereich Palliative-Medizin, -Pflege und -Seelsorge so auszubauen und zu qualifizieren, dass sich Sterbende und ihre Angehörigen sehr gut aufgehoben, persönlich betreut und begleitet fühlen (nicht nur in Zentrumsspitälern).

Welches Engagement wünschen Sie sich von den Kirchen im Bereich Palliative Care?
Die Kirchen haben die Wichtigkeit des Themas erkannt und engagieren sich im Entstehen von Netzwerken und bei der Durchführung gemeinsamer Veranstaltungen, mit dem Ziel, unsere Präsenz und Kompetenz als Seelsorgende im weiten Arbeitsfeld von Palliative Care zu sichern. Und auch, um bei der Vernetzung und Koordination der vielen Anbieter von Palliative Care mitzuwirken. Viele Menschen in unseren Pfarreien – darunter auch Mitarbeitende – sind «pflegende Angehörige ». Das geschieht oftmals im Stillen, kaum, dass jemand davon Kenntnis nimmt. Ich weiss um eine Frau, die jede Nacht 2- bis 3-mal ihren schwerkranken Mann umlagert, tagsüber Familienverpflichtungen nachkommt und auch noch punktuell berufstätig ist. Diesen Menschen muss vermehrt unser Augenmerk, unsere Wertschätzung und Unterstützung gelten.

Was wünschen Sie sich ganz persönlich an Ihrem Lebensende?
Ich wünsche mir, dass sich meine Hoffnung erfüllt, dass ich also von Gott behütet und begleitet aus diesem Leben in den Tod gehe und dann zu einem neuen, ewigen Leben erwachen werde, wie immer das sein wird. Ich wünsche mir, dass ich den Sterbeprozess als eine wesentliche Phase meines Daseins annehmen kann, welche in voller Länge durchlebt sein will. Oder anders ausgedrückt: Ich wünsche mir, dass ich neugierig bleibe bis zumSchluss, «wie sterben geht», und dass ich mich darauf einlassen kann. Und natürlich wünsche ich mir, dass sich mit Hilfe von Palliative Care das Leid in Grenzen hält, sodass ich dieses Weggehen aus dieser Welt, gerade auch im Angewiesensein auf andere, gut erleben darf.

Interview: Andreas Krummenacher

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