Karfreitag: Menschen sind brutal

Wenn ich asiatische Touristen in einer katholischen Kirche antreffe, frage ich mich: Was denken sie wohl von diesem gequälten Mann am Kreuz? Und von uns Christinnen und Christen, die ein Gewaltopfer in den Mittepunkt stellen? Können sie das Lebensbejahende und die Liebe in unserem Glauben erkennen? Warum ist das überhaupt so? Die alte Theologie sagt: Jesus ist das Opfer(-Lamm), das sterben musste, um die Menschheit von der Sündenschuld zu erlösen und mit Gott zu versöhnen. Doch das kann ich nicht glauben, denn – wenn es Gott gibt – will Gott keine Opfer, sondern Barmherzigkeit (Prophet Hosea 6,6). Der Glaube darf nie als Rechtfertigung für Gewalt und Leiden missbraucht werden. Tatsache ist: Jesus wurde von der religiösen und politischen Macht wegen angeblicher Gotteslästerung und Aufwiegelung des Volkes verurteilt. Sein Tod war die banale Konsequenz seines Engagements für die Entrechteten und Benachteiligten. Indem Jesus den Menschen ihre Würde bewusst machte und Selbstvertrauen schuf, wurde er für die Machthaber gefährlich, ein Rebell. Denn selbstbewusste Menschen sind nicht mehr leicht manipulierbar. In der Folge machte die Kirchenobrigkeit aus dem Rebellen Jesus ein gehorsames Lamm und einen sanftmütigen Prediger, damit die Menschen ebenfalls Gehorsam übten. Doch unzählige mutige Kirchenleute, Laien, Gewerkschafter, Regimekritiker, MenschenrechtsaktivistInnen tragen den Rebell Jesus noch immer in sich – und erleben noch heute wie er Karfreitag.

José Balmer vertritt seine persönliche Sicht. Wer auf seine Anregungen einsteigen will, kritisch, zustimmen oder ergänzend, kann das in unserem begleitenden Forum tun (Online-Formular, Email).

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