Vertrauen in die Liebe! Foto: Keystone, Agence Vu, Anne Rearick

«Kirche ist auch für mich gestrig, aber nicht ewiggestrig»

Die persönlichen Betrachtungen eines Theologiestudenten - engagiert und überraschend ansteckend!

Ich studiere Theologie um etwas zu verändern. Diese Äusserung löst bei vielen, besonders meiner Generation, Kopfschütteln aus. Kirche und Veränderung, ja Glaube und Veränderung, diese Begriffe stehen einander für viele meines Alters diametral gegenüber. Kirche ist gestern, sind alte Männer, sind überhaupt Männer und erst gar keine Frauen, Kirche ist Ablasshandel und Homophobie und Kindesmissbrauch. Glaube ist Starrköpfigkeit, Uneinsichtigkeit, ein begrenztes Weltbild, Glaube ist naiv und unselbstständig. Das Glauben an ein Leben nach dem Tod? Weltflucht und Hoffnungslosigkeit. Vertrauen auf Gott? Unselbstständig und verantwortungslos. Moral und Kirche, das hat keinen Zusammenhang. Prunksucht und korrupte Vatikanbank, dem Mammon verfallene und mit Gold behangene Kleriker sind die Stichworte.
Kirchliche Hilfswerke sind doch nur Werkzeuge, um zu missionieren. Die Bibel? Ein vorvorgestriges Buch, voller Kriegstreiberei, Widersprüche und unzeitgemässer moralischer Gebote, unglaubwürdig und veraltet.
Wenn ich mich unter «meinesgleichen» als Katholik oute, ja, das Wort muss outen heissen, ernte ich im besten Fall interessiertes Unverständnis, im schlechtesten Fall Feindseligkeit.

Ich wünschte, ich könnte jetzt schreiben: alles falsch. Ein paar schöne Sätze, eigentlich ist es doch ganz anders, eigentlich stimmt das doch alles nicht, die Kirche bewegt sich, Glaube bewegt immer noch die Menschen, Kirche ist offen und für alle da, die Menschen kommen doch immer noch, Wohlfühltheologie. Das will ich hier aber nicht. Ich muss vielen Kritikern Recht geben. Alle diese Vorwürfe, obwohl natürlich nicht alle gerecht und richtig, spiegeln jedoch genau das wider, was mich am meisten beunruhigt, wenn man über Kirche und Glauben spricht: Unverständnis.
Unverständnis gegenüber den Menschen, mit all ihren Problemen, den Dingen, die sie wirklich bewegen, dem was wirklich vorgeht in der Gesellschaft. Und, nicht minder unverständlich für mich, Unverständnis gegenüber dem Glauben, dem, wofür Religion wirklich steht.

Theologie ist für mich überall dort, wo Glaube auf Wirklichkeit trifft. Dort, wo die Komfortzone des eigenen Glaubens endet, wo das Gottesbild, das man sich zurechtgelegt hat, auf andere Vorstellungen trifft. Wo man die Nächstenliebe, die man so hehr immer wieder als Mitte des eigenen Glaubens propagiert, auch tatsächlich leben muss. Wo die ganze wunderbare katholische Liturgie scheitert am monotonen Genuschel des Priesters. Oder dort, wo eine Predigt genau die richtigen Punkte trifft und einen nachdenklich sitzen lässt. An dieser Schnittstelle, wo sich Glaube und Religion und die Realität der Gesellschaft, der Menschen treffen, dort will ich als Theologe arbeiten.
In einer Gesellschaft, in der wir so viele Antworten bekommen, dass wir vergessen haben zu fragen, aber auch eine Gesellschaft mit Möglichkeiten, in der es der Mensch noch nie so einfach hatte, wirklich der zu werden, der man sein will … In einer solchen Gesellschaft versagt die Kirche meines Erachtens immer wieder. Hält fest an einer mittelalterlichen Sexualfeindlichkeit, kann immer noch nicht umgehen mit der Gleichstellung von Frau und Mann oder den Genderfragen, hat es noch nicht geschafft, eine glaubwürdige, moralische Kirchenführung zu stellen.

Dabei gibt es so viele Missstände, schreckliche Ungerechtigkeiten in der Welt, auf die die Kirche zeigen könnte. Die zu beheben für mich doch eine der zentralsten Aufgaben der Kirche wäre, der Kampf gegen Ungerechtigkeit, Armut, Gewalt und Diskriminierung. Papst Franziskus macht es vor. Mit seinen Appellen an die Weltöffentlichkeit, endlich mit der Zerstörung und Vergewaltigung unseres Planeten aufzuhören und endlich wirklich etwas zu tun gegen die wachsende Ungerechtigkeit in der Welt. Die gnadenlose wirtschaftliche Ausbeutung von Drittweltländern durch europäische Grosskonzerne etwa, während unsere Regierungen tatenlos zusehen, Verantwortung abschieben und unser Bundespräsident lieber Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien liefert als sich gegen die Ausbeutung von Kindern in den Goldminen Burkina Fasos einzusetzen.

Wieso bleibt die Kirche, bis auf die zwar bewundernswerten, aber einsamen Stellungnahmen Papst Franziskus‘ stumm? Auch in der Schweiz: Wenn gegen Flüchtlinge gehetzt und Sozialhilfe und Altersvorsorge kleingespart wird, die Reichsten steuerlich entlastet und dafür lächerliche zwei Wochen Vaterschaftsurlaub beerdigt werden … Wieso steht die Kirche nicht auf, laut und unangenehm, und hält den Finger dorthin, wo es den Mächtigen wehtut? Heisst Jesus nachfolgen nicht auch, sich auflehnen? Stören, bestehende Ordnung hinterfragen, unangenehm sein? Die Pharisäer und Schriftgelehrten konfrontieren, die, welche die Wahrheit für sich gepachtet haben. Die Rollen haben gewechselt, scheint es mir.

Die Kirche hat sich verlegt aufs Bewahren, und zwar nicht unbedingt im positiven Sinne. Matthäus 7, 23: «Viele werden an jenem Tag zu mir sagen: Herr, Herr, sind wir nicht in deinem Namen als Propheten aufgetreten und haben wir nicht mit deinem Namen Dämonen ausgetrieben und mit deinem Namen viele Wunder vollbracht? Dann werde ich ihnen antworten: Ich kenne euch nicht. Weg von mir, ihr Übertreter des Gesetzes!»

Ich studiere Theologie nicht, weil ich die Kirche bewahren will, wie sie ist. Oder weil ich meinen Glauben bewahren will, wie er ist. Im Gegenteil, der Grund, wieso ich Glauben verstehen will und auch die Kirche verstehen will, ist, weil die Dinge nicht so bleiben sollen, können, wie sie sind. Ja, Kirche ist in etlicher Hinsicht auch für mich gestrig. Aber nicht ewiggestrig.

Ich studiere Theologie, weil ich erfahren habe, was Glaube bewirken kann. Welche Hoffnung, welches Vertrauen der Glaube geben kann, und das ist keine Verklärung und keine spirituelle Schwärmerei. Ein Vertrauen in die Liebe und in das, was nichtreligiöse Menschen vielleicht Schicksal nennen würden: Für mich hat es einen Namen. Das Vertrauen darauf, dass nach jeder Dunkelheit wieder Licht kommt. Dass alles so kommt, wie es kommen muss, dass Dinge durchgestanden werden müssen, dass mich jemand auffängt, dass ich unter der Eiche Schutz finde vor dem Gewitter. Dieses Vertrauen, das eben auch bedeutet, dass man Schicksalsschläge hinnehmen muss. Dass man sich unter den Baum stellt, obwohl man weiss, dass der Blitz einschlagen kann. Dass man riskiert, mit den Dingen spielt, liebt, obwohl man weiss, dass man gnadenlos verletzt werden kann. Und das muss auch Kirche. Sich nicht in Sicherheit wiegen, das tun, wovon man weiss, dass es das geringste Risiko birgt. Nicht an vergangenen Werten festklammern, weil man sich sagt, bis jetzt hat es doch funktioniert, bis jetzt war es doch auch gut und akzeptiert, es wird schon so bleiben.

Ich will keine Kirche, die sagt, die Kommunion für Geschiedene ist keine Option, weil die Heirat vor Gott nun einmal ein untrennbares Band ist. Ich will eine Kirche, die sagt, dass jeder, der möchte und guten Willens ist, hingehen soll und am Tische des Herrn Platz nehmen. Ich will eine Kirche, die sich schlagen lässt und trotzdem die andere Wange hinhält. Eine Kirche, die verzeiht, wieder und wieder, so wie es Jesus getan hat. Siebzigmal siebenmal sollt ihr verzeihen, so steht es. Aber eine Scheidung ist unverzeihlich? Ein homosexueller Priester ist nicht mehr tragbar als Seelsorger und Zelebrant?
Ein gewandter Theologe könnte mir solche Streitfragen dogmatisch begründen, mit Bibelstellen belegen und die Unabänderlichkeit solcher Dinge gründlich rechtfertigen. Ich verstehe, wieso die Kirche die Ehe zwischen homosexuellen Paaren nicht befürwortet: Die Ehe als Institution des Kinderzeugens, als Verbindung von Mann und Frau, Yin und Yang. Darum keine gleichgeschlechtliche Ehe. Ich verstehe solche Erklärungen, aber ich kann sie nicht mehr akzeptieren. Aus innerer Überzeugung, und diese Überzeugung teilen viele, viele Menschen mit mir.
In diesem Sinne sorge ich mich um die Kirche: So, wie sie jetzt ist, kann sie nicht bleiben. Egal, wie vehement sich konservative Kreise oder die Bischofssynode gegen jede Veränderung und Liberalisierung stemmen: Die Kirche muss sich und ihre Werte überdenken. Entweder das, oder sie wird schrumpfen, Gläubige verlieren, aussterben, bis sie nur noch aus dem reaktionären, konservativen Kern besteht, der solche Dogmen noch tragen will. Und das ist ein erschreckender Gedanke für mich.

Erneuerung aus dem Glauben, Barmherzigkeit, Aufbruch und Erneuerung: alles schöne Phrasen. Aber vollkommen leer, wenn dem nicht auch Taten folgen. Matthäus 7,19: «Jeder Baum, der keine guten Früchte hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen. An ihren Früchten also werdet ihr sie erkennen.» Welche Früchte soll unsere Kirche tragen?

Sebastian Schafer (*1995),
aufgewachsen in Bern, studiert Theologie, Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Fribourg im 2. Semester und arbeitet als Praktikant bei kathbern.ch

 

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Leserbriefe

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Nach 5-jähriger Abwesenheit
aus dem Ausland zurückgekehrt, lese ich das «pfarrblatt » wieder sehr gerne. Herrn Sebastian Schafer danke ich für dessen offene Meinung – welche bestimmt auch etwas Mut brauchte! Ich hoffe, dass dessen Einsichten und Erkenntnisse nicht nur bei Studenten der Theologie ihren Niederschlag findet. Bereits lange amtierende Priester dürfen nicht in ihren z.T. überholten Ansichten verharren, sondern die gläubigen Menschen dort «abholen», wo sie stehen! Eine lebendige Kirche bringt bestimmt auch wieder mehr Kirchgänger. An die Priester: Suchen Sie auch den persönlichen Kontakt? 1 Mal im Jahr eine Haussegnung durchführen wäre ein erster Schritt!

Rosmarie Stauffer, Goldiwil


Herzliche Gratulation,
Herr Schafer, zu diesem Beitrag, den ich voll unterstütze. Ihre Ausführungen sind überlegt und fundiert. Der ganze Artikel zeigt Ihre Sorge um diese Kirche und macht Hoffnung für eine Kirche der Liebe. Wir alle sind Kirche, sind gefordert, jeder an seinem Platz. Wann wird sie Wirklichkeit, diese liebende Kirche?

Marlies Bähler, Münsingen

 

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