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Können Punkerinnen beten?

«Carte blanche» für Hubert Kössler

Jedenfalls können sie sich gut vermarkten: Ihr Dreissigsekundenauftritt ging um die Welt. Wenn drei Männer mittleren Alters eine Kerze angezündet und ein Vaterunser gebetet hätten, hätte das kaum ein vergleichbares Medieninteresse hervorgerufen. Aber drei junge Frauen, die wie wildgewordene Furien in der Moskauer Christus-Erlöser-Kirche auftanzen und die Jungfrau Maria anrufen, sie möge Putin verjagen? Das ist sexy; das verkauft sich. 

Der arme Putin: Hätte er einfach geschwiegen, wäre das Ganze wahrscheinlich glimpflich für ihn abgelaufen. Doch er lässt die Frauen wie Schwerverbrecher in Handschellen und hinter Glas vorführen. So macht er das Image des weltoffenen Staatsmannes, an dem er so lange gearbeitet hat, mit einem Schlag zunichte. Und die orthodoxe Kirche? Indem sie harte Strafen wegen «Gotteslästerung» fordert, offenbart sie ihre unheilige Allianz mit dem Staat. Daran ändert auch die nachträgliche, kleinlaute Bitte, man möge die Punkerinnen gnädig behandeln, nichts.

Zugegeben: Der Auftritt von Pussy Riot sprengt unser Alltagsverständnis eines Gebets. Doch wer vermag zu beurteilen, ob es nicht, bei aller Inszenierung, tatsächlich ein authentisches Gebet war? Amerikanische Präsidenten beenden ihre Reden mit dem Segenswunsch «God bless you». Wenn ich unterstellen darf, dass sie dies als echte Bitte an Gott verstehen – warum sollte ich dann die gleiche Unterstellung nicht auch russischen Punkerinnen zugestehen dürfen? 

Was würde die Jungfrau Maria selbst wohl dazu sagen? Vielleicht würde sie sagen: «Das nächste Mal zieht euch bitte etwas Angemesseneres an – kommt mir vor allem nicht mehr mit diesen komischen Mützen unter die Augen! In der Sache jedoch bin ich mit euch einig. Immerhin habe ja auch ich im Magnifikat von politischer Befreiung gesungen: Gott ‹vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten. Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen.› Putin verjagen? Mal sehen, was sich machen lässt.» 

Hubert Kössler, Theologe, Co-Leiter Seelsorge Inselspital Autorenportraits

 

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