InitiantInnen wollen globale Verantwortung für Schweizer Unternehmen. Foto: zVg

Konzernverantwortungsinitiative (II)

Nestlé - Die gute Firma und das Hilfswerk

Die gute Firma und das Hilfswerk

Babymilch-Werbung, Wasserhandel, Bespitzelung von Kritikern. Der Ruf von Nestlé scheint gegessen. Doch bei Hilfswerken gilt der Nahrungsmittel-Multi zusehends als Musterknabe, der zeigt, wie die Konzernverantwortungs-Initiative funktionieren könnte.

«Best Practice». Der anerkennende Anglizimus fällt beiläufig. Er stammt nicht von Börsenanalysten, sondern von einem Verantwortlichen des Fastenopfers. Das katholische Hilfswerk propagiert derzeit zusammen mit 76 Hilfswerken und NGOs die Konzernverantwortungs-Initiative («Kovi»), die Schweizer Grossunternehmen an die kurze Leine nehmen möchte. Mit der Initiative sollen Sorgfaltspflichten von Konzernen gesetzlich verankert und weltweite Verstösse gegen Umwelt- und Menschenrechte vor Schweizer Gerichten einklagbar werden.

Nestlés «Best Practice» oder: Nestlés Herr Saubermann

Telefontermin bei Christian Frutiger, Deputy Head Global Public Affairs. Frutiger stiess 2007 vom IKRK zum grössten Industrieunternehmen der Schweiz, das dieses Jahr einen runden Geburtstag feiert. «Seit rund zehn Jahren versucht Nestlé bei Umwelt- und Menschenrechten noch besser zu formulieren, was seit 150 Jahren zu den Grundsätzen des Unternehmens gehört.» Es ist einer der wenigen klassischen Werbesprüche, die Frutiger vorträgt. Ansonsten bleibt er sachlich, abwägend, zugewandt. «Kritische Fragen aus der Zivilgesellschaft verstehen wir heute als Gelegenheit, uns zu verbessern, anstatt in einen Kampfmodus zu verfallen.» Nestlé produzierte davor mehrere PR-Debakel, besonders in Erinnerung ist hierzulande die Bespitzelungsaffäre, als der Konzern eine Spionin in die globalisierungskritische Organisation Attac einschleuste.

Wunschkonzert in Nigeria

Mängel gibt es auch heute noch genug bei einem Unternehmen mit einem Umsatz von rund 89 Milliarden Franken (was etwa viermal dem Budget Nigerias entspricht), mit Aktivitäten in 197 Ländern und rund 339'000 Mitarbeitern. Wo beginnen? Kinderarbeit auf Kakao-Plantagen in der Elfenbeinküste? Ermordete Gewerkschafter in Kolumbien? Oder mit einem verheissungsvollen «Best Practice Case»? Letzteres: In einem Menschenrechtsbericht von 2013 hebt Nestlé eine neue Fabrik für Maggi-Produkte im Süden Nigerias hervor. Nach deren Bau empfahl das «Danish Institute for Human Rights», das mit Nestlé kooperiert, eine Zusammenarbeit mit der umgebenden Dorfbevölkerung. Firmenverantwortliche hörten sich die Wünsche von elf Repräsentanten der Gemeinde an und erfüllte die dringendsten: Die Renovation einer Primarschule und die Anschaffung von zwei neuen Polizeiautos.

Allein: Wie nachhaltig ist eine solche Grosszügigkeit? Wer schaut, dass die Schule nicht gleich wieder verfällt? Ist die Polizei künftig nicht mehr korrupt? Frutiger verkneift sich ein Schmunzeln. «Wichtig war zunächst, dass wir wirklich auf die lokalen Bedürfnisse eingehen. Was die Nachhaltigkeit angeht, behält unser Team vor Ort die Situation im Auge.» Der Dialog mit den Dorfverantwortlichen soll weitergeführt werden.

Verbreitete Kinderarbeit

Zweites Beispiel: Nestlé untersucht seit 2014, wie weit bei seinen Kakao-Zulieferern in der Elfenbeinküste Kinderarbeit verbreitet ist. Provisorisches Resultat: Rund 3000 Kinder, 13% aller Befragten in den Kooperativen, waren betroffen. Nestlé stellte überdies fest, dass 41% der Minderjährigen nicht zur Schule gehen. Es wurden Schulen gebaut, Mütter sensibilisiert, neue Erwerbsmöglichkeiten gefördert. Nestlé will die Kinderarbeit beim Kakaoanbau in der Elfenbeinküste abschaffen, nennt aber keine konkrete (und überprüfbare) Jahreszahl, bis wann dies erreicht werden soll. Frutiger: «Ziel ist, dass wir bis Ende 2016 alle 79 Kooperativen untersucht haben.» Zugleich sollen erste Korrekturmassnahmen eingeleitet und umgesetzt werden. Man stecke in einem typischen Entwicklungsarbeits-Prozess, der viel Geduld von allen Beteiligten verlange, beschwichtigt der Nestlé-Kadermann ruhig.

Sprung nach Lateinamerika: 2005 wurde in Kolumbien der Gewerkschafter und ehemalige Nestlé-Mitarbeiter Luciano Romero ermordet. Zuvor waren mehrfach Drohungen eingegangen, die auch an Nestlé Schweiz weitergemeldet wurden. Die Mörder Romeros wurden in Kolumbien zwar verurteilt, eine Klage gegen den Mutterkonzern, dem mangelnder Schutz seines Mitarbeiters vorgeworfen wurde, vom Bundesgericht aber 2014 letztinstanzlich abgelehnt. Man verurteile jede Form von Gewalt und weise die Anschuldigungen gegen Nestlé zurück, sagt Frutiger zunächst pflichtschuldig, um dann anzuerkennen: «Kolumbien ist ein schwieriger Kontext, Gewalt dort sehr präsent.» Er verweist auf den Menschenrechtsdialog, den Nestlé seit dem Mordfall mit Alliance Sud geführt hat: Die Hilfswerks-Dachorganisation schreibt in einem Bericht 2010 von einem «tiefgreifenden Dialog» mit Nestlé, lobt einzelne Fortschritte wie Mitarbeiter-Schutzmassnahmen oder den hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad von 65% (Landesdurchschnitt: 5%).

Nestlé für die «Kovi»?

Warum, fragt sich bei all den guten und gutgemeinten Massnahmen, hat der Nahrungsmittel-Multi denn bis heute den Ruf eines skrupellosen, gefrässigen Molochs? «Sagen Sie es mir!», wirft Frutiger den Ball zurück. «Wir können nur weiter ernsthaft versuchen, unserer Verantwortung gerecht zu werden.» Eine grosse Image-Korrektur ergäbe sich bestimmt, wenn Nestlé die Konzernverantwortungs-Initiative unterstützen würde. «Wir haben zwei Drittel der Initiative bereits freiwillig umgesetzt, sehen aber zwei Probleme», dämpft Frutiger diesbezügliche Erwartungen. «Einerseits die direkte Haftbarkeit von Unternehmen, auch für Tochterfirmen und Handelspartner, andrerseits dass wir vor Gericht unsere Unschuld beweisen müssten, nicht umgekehrt. Deshalb können wir die Initiative nicht unterstützen.» Ein Grosskonzern, der sich gesetzlich beschränken lässt: Das wäre vielleicht fast schon zu viel des Guten.

Remo Wiegand

 

Nestlé und das Fastenopfer
Das dänische Menschenrechtsinstitut (DIHR) und Nestlé pflegen seit fünf Jahren eine Partnerschaft, mit der Schweizer Hilfswerks-Dachorganisation Alliance Sud arbeitete der Konzern schon punktuell zusammen. Ist es nicht sinnvoller, willige Firmen wie Nestlé so zu begleiten statt mittels Konzernverantwortungs-Initiative unter Druck zu setzen? «Wir sind nicht dafür da, die Corporate Social Responsibility einzelner Unternehmen zu verbessern», sagt Daniel Hostettler, Entwicklungspolitik-Experte beim Fastenopfer. Es sei wünschenswert, mit Firmen einen Dialog zu pflegen, und mit Nestlé funktioniere dies vergleichsweise gut. Für eine ausgeprägtere Partnerschaft würden indes die Ressourcen fehlen, ausserdem wäre es ja nur ein Fall unter vielen, so Hostettler. «Wir wollen explizit eine gesetzliche Regelung, die für alle gilt.» Und die Gefahr, dass die «Kovi» den laufenden, freiwilligen Prozess der Unternehmen hin zu mehr ökologischer, sozialer und menschenrechtlicher Verantwortung torpediert, wie es die Economiesuisse befürchtet? «Ein lächerlicher Vorwurf», winkt Hostettler ab. «Die Firmen begannen sich ja erst unter dem Druck der Zivilgesellschaft zu bewegen.»

 

zum Dossier

Diese Website nutzt Cookies. Durch die weitere Nutzung der Site stimmen Sie deren Verwendung zu und akzeptieren unsere Datenschutzrichtlinien.