Konkrete Schweizer Kunst. Christi Opfertod und Auferstehung. Glasfenster von Walter Loosli in der Kirche Schlosswil.

Kunst und Kirche

Auch kirchliche Kunst darf nicht vereinnahmt werden und ist zuallererst Selbstwert.

Eine posthume Atelierausstellung des Künstlers Walter Loosli im August 2018 gab den Anlass, ein paar überfällige Gedanken zu diesem Thema festzuhalten. Diese Notiz passt zum Hinweis auf ein Gespräch zwischen einer Kuratorin und einem Theologen («pfarrblatt» Nr. 6: Das darf man zeigen). Das Motiv ist ein ähnliches: die Frage nach Vereinnahmungen, Reibungsflächen, Nähe und Distanz zwischen Religion und Kunst.

von Sandro Fischli

Walter Loosli und Max Hunziker – um nur zwei der bekanntesten zeitgenössischen Künstler mit Werken in Kirchen zu nennen – werden meines Erachtens oft zu sehr auf die Bedeutung reduziert, erbauliche Werke zur Vertiefung des christlichen Glaubens geschaffen zu haben, auch wenn ihnen das mit ihrer Kunst gelingt.

Aber es käme wohl niemandem in den Sinn, Leonardo da Vinci oder Michelangelo als christliche Erbauungskünstler zu interpretieren, nur weil uns der eine mit einem überwältigenden Bild des Abendmahls und der andere mit einer ergreifenden Skulptur der Pietà in Erinnerung bleiben. Sie waren in erster Linie einfach Künstler. Auch Paul Klee könnte mit seinen vielen Engelbildern wohl nur schwer als christlicher Erbauungskünstler interpretiert werden.
Und Marc Chagall dürfte auch nie ausschliesslich als jüdisch-messianischer Künstler vereinnahmt werden.

Kunst ist zuallererst ein Wert, ein Selbstwert. Wenn Kunst dann eine religiöse Empfindung bewirkt, so ist das, überpointiert gesagt ein Surplus, ein Mehrwert oder bloss ein Nebeneffekt. Es ist ähnlich wie mit politischer Kunst – die nicht von vornherein, weil sie mit einer guten Intention geschaffen wird, bereits schon gut ist. Es gibt nur gute oder weniger gute bis schlechte Kunst. Wenn es guter Kunst gelingt, politische oder religiöse Inhalte zu transportieren, umso besser. Wenn nicht, auch gut. Eine Kantate von Bach oder der Isenheimer Altar von Matthias Grünewald kann auch Agnostiker*innen ergreifen.

Gerhard Richter mit seinen Glasfenstern im Kölner Dom und Sigmar Polke mit den Fenstern im Zürcher Grossmünster fielen zeitlebens nicht durch Kirchennähe auf. Richters Fenster sind rein geometrisch-abstrakt, vermeiden auch nur die kleinste Annäherung an christliche Ikonografie. Und Polkes Zugeständnisse an die Ikonografie sind provozierend gebrochen und verfremdet. Doch gerade die reine Geometrie und die gebrochene Verfremdung berühren in ihrer bildnerischen Kraft – ohne dass dies weiter in Worte gefasst zu werden braucht.

Kunst in der Kirche steht immer im Spannungsfeld, einerseits Illustration, Kommentar zur Verkündigung sein zu müssen und andererseits unabhängig davon einfach sich selbst als Bild, Skulptur sein zu wollen. Und die Tatsache, dass von einem Künstler in mehreren Kirchen Werke zu sehen sind, heisst noch lange nicht, dass sein gesamtes Werk kirchlich interpretiert werden kann bzw. soll. Kunst kann und darf nie vereinnahmt werden.

Gerade Walter Loosli scheint mir hierfür ein typisches Beispiel zu sein. Ja, er hat tatsächlich viele wunderbare Kirchenfenster geschaffen mit eindeutigen Bezügen zur christlichen Verkündigung. Aber daneben auch, wenn nicht noch viel mehr: unzählige Reliefs, Sgraffiti, Lehmtafeln, Malereien, Holztafeln, die voller präkolumbianischer, aztekischer, keltischer oder schamanistisch-heidnischerBildelemente sind. Es sind Bilder eines natur-religiösen Künstlers, eines Künstlers mit einer ganz natürlichen Religiosität. Und genau das scheint mir doch die Essenz von Kunst zu sein: ein Lobpreis der Schöpfung, eine Klage und Anklage auch, wie wir mit dieser Schöpfung umgehen, und ein Schöpfen aus dem Bilderreichtum, der in der Kulturgeschichte, seit es Menschen gibt, wunderbarerweise entstanden ist. Und all das, ohne explizit auf einen Schöpfergott hinweisen zu müssen.

Kunst kann und darf auf Gott hinweisen. Aber sie muss es nicht oder tut es oft vielleicht ganz anders, als wir es von ihr erwarten.

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