Marienmonat mit Sprengkraft

«Ich selber muss Maria sein / und Gott aus mir gebären», dichtete einst Angelus Silesius im 17. Jahrhundert. Gott, so der Mystiker, bevorzugt einen Ort, durch den er sich der Welt zeigt – den Menschen.

Nicht von ungefähr also sind Maiandachten im Volk entstanden. Die Marienverehrung begann in der Ostkirche. Sie verehrte Maria mit dem Titel Gottesgebärerin. Erst im 6. Jahrhundert begann die abendländische Kirche die Marienfeste zu übernehmen. Anfänglich stiess die Jungfräulichkeit Mariens im Westen auf Widerspruch. Die Unberührtheit bleibt bis heute, trotz Dogma, viel diskutiert und umstritten. Frühlingsrituale im Monat Mai kannten bereits die alten Römer und Germanen. Der Winter wurde verabschiedet, der Frühling begrüsst. Tanz, Blumen, Fruchtbarkeit prägten die Feste. Die Kirchenleitungen störten sich oft an den ausgelassenen Feiern. 1654 schlug ein Jesuit vor, einen Monat des Jahres unter den besonderen Schutz Marias zu stellen. Der Orden förderte die Maiandachten. Anfang 19. Jh. wurde das erste «Maibüchlein» in der Schweiz eingeführt.

Der feministischen Theologie ist es zu verdanken, dass Maria ihren befreienden, revolutionären Charakter nicht verlor. Lange musste Maria als Dulderin, Genügsame, Trösterin und Gebärerin die Frauen still halten und dient bis heute als Argument, Frauen nicht zum Priestertum zuzulassen. Hätte Jesus das gewollt, so wird lapidar argumentiert, hätte er seine Mutter zur Priesterin gemacht. Trotz alle dem – Maiandachten als Frauenfeste, als Frühlingsrituale, als Kraftorte der Hoffnung, der Fürbitte und des Aufstehens gegen Ungerechtigkeiten, sind bis heute eine eindrückliche Bastion gegen alles Vereinnahmende geblieben. Das jährliche internationale Marienfest in Bern ist nur eine der unzähligen Feiern landauf, landab (siehe Hinweis S. 5).

Angela Römer-Gerner, reformierte Theologin und Kämpferin für spirituelle Aufbrüche, entwarf in einer im letzten Jahr erschienenen Publikation eine alternative und aktuelle Spur der Marienverehrung. Unter anderem angestachelt durch ein Kalenderwort von Dom Hélder Câmara, dem grossen brasilianischen Befreiungstheologen und kleinen Erzbischof von Recife (1909–1999), schlägt sie vier Wege vor, die suchende und wache Menschen auch heute noch mit Maria gehen können. Dom Hélder Câmara fragte:

Nun aber sage mir im Vertrauen: Welches ist deine wirkliche Farbe? Oder kleidest du dich je nach Umständen, glücklich mit den Glücklichen traurig mit den Traurigen?

Dieses Fragen des Befreiungstheologen nach den Farben in den verschiedensten Mariendarstellungen und sein Verknüpfen mit Lebensumständen nahm bewusst das Leiden der Armen ins Blickfeld. Hélder Câmara sprach die Ursachen der Unterdrückung und gleichzeitig ihre Befreiungsmöglichkeiten an. Das inspirierte Angela Römer dazu, vier Farben, Weiss, Rot, Blau, Schwarz, den vier Lebensphasen des Menschen und den Jahreszeiten zuzuordnen:

Die weisse Madonna – Zärtlichkeit des Frühlings und die Lebensaufbrüche, die rote Madonna – die Fülle des Sommers und das Wunder der Gottesgeburt, die blaue Madonna – über die Früchte des Herbstes und das verwundete Leben und die schwarze Madonna für die Weisheit des Winters und über die königliche Würde und den Abschied.

Römer stellt im Text «In mir die ganze Schöpfung » vier Marienbildnisse vor, die sie als Theologin und als spirituell Suchende besonders geprägt haben. Der Satz «Ich selber muss Maria sein / und Gott aus mir gebären» erhält in den persönlichen Betrachtungen von Angela Römer zu den vier Lebensphasen Verständlichkeit und Leben. Dieses «Gott gebären» wird nicht nur zum ethischen und sozialen Handeln, sondern erzählt auch von der Möglichkeit der inneren Befreiung aus Enge und Verzweiflung, die den Menschen in Beziehungen und Lebensumständen befallen können. Exkurse in die Geschichte von Göttinnen, zum Thema Esoterik und Symbolik, Psychotherapie und Dichtung zeigen die Tiefe und Breite der Marienverehrung aus der Sicht einer reformierten Theologin.

Viele Darstellungen der Maria als Schutzmantel- Madonna, als Knotenlöserin, als Rosenkranz- Madonna haben es Menschen einfach gemacht, Vertrauen zum Göttlichen zu finden. «Nun aber sag mir im Vertrauen, welches ist deine Farbe wirklich?», fragte denn auch Hélder Câmara inmitten der Armut und fasste Vertrauen, gegen Armut aufzustehen. Maria mit dem Kind rührt an Urgefühle des Menschen und offenbart stimmig das göttliche Handeln in der Welt. Der Marienmonat besitzt auch deshalb Sprengkraft.

Jürg Meienberg

Quelle zur Geschichte: Monika Zumbühl Neumann, Blumen blühen, Menschen tanzen. kath.ch 2014

Das Buch
Angela Römer-Gerner
In mir die ganze Schöpfung
Mit Maria den eigenen Weg entdecken
Herder 2014, 141 Seiten, Fr. 21.90

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