Ein Herz aus Lindenholz in einem gespaltenen Zwetschgenast. Die Skulptur von Reto Odermatt, Flüeli-Ranft, schenkte Bernadette Inauen ihrem Mann nach der Diagnose. Ein Herz im gebrochenen Ast.

Mit einer Demenz leben

Aus dem «pfarreiblatt» der Stadt Luzern

Beginnende Demenz: Die Diagnose hat den Alltag von Franz und Bernadette Inauen* umgekrempelt. Das Luzerner Ehepaar versucht, ihn neu zu leben – im Vertrauen darauf, dass die Krankheit das Innerste eines Menschen nicht zu zerstören vermag: sein Herz.


Was löste die Diagnose in Ihnen aus?
Franz Inauen: Wenn man nicht weiss, was wirklich los ist … das stellt auch eine Partnerschaft auf die Probe, da geht man die Wände rauf.
Bernadette Inauen: Dann sassen wir nun daheim und fragten uns, was wir nun tun sollten. Es war zum Verzweifeln. Später fanden wir einen Neurologen, der uns vieles erklären konnte.

Wie gehen Sie mit der Diagnose Ihres Mannes um?
Bernadette Inauen: In mir drüllt es im Moment wahnsinnig. Ich frage mich: Ist wirklich alles mit einer demenziellen Entwicklung zu erklären? Oder wo spielen verschiedene psychische Faktoren eine nicht unwesentliche Rolle? Hinzu kommen die Schuldgefühle, die immer wieder hochkommen: Hätte ich nicht und ich müsste doch …

Wie begann sich die diagnostizierte Demenz in Ihrem Alltag zu zeigen?
Franz Inauen: Oft war es so, wie wenn ich ein Brett vor dem Kopf hätte: Ich sah und wusste nicht mehr weiter. Vor allem, wenn es ums Überlegen, ums Denken, um den Verstand ging. Dazu vergass ich so viele Dinge. Und ich erschrak sehr über mich selbst, als ich innerhalb von vier Monaten vier Personen ohne Grund im Verlauf eines Gesprächs buchstäblich alle Schande sagte. Das versetzte mich in eine unerhörte Angst und wurde mir zur Bedrohung. Ich hatte mich in diesen Situationen offenbar nicht mehr im Griff. Impulsiv war ich ja schon immer. Aber nie böse.

Müssen Sie in Ihrem Umfeld viel erklären?
Bernadette Inauen: Wenn ich es bloss könnte ... Wie es Franz geht, ist schwierig zu verstehen, wenn man es nicht selber miterlebt. Ich geriet schon in ein grosse Krise, als Bekannte meinten, der Franz mache es ja so gut, wir täuschten uns in der Diagnose bestimmt. Ich fragte mich: Täuschen sich die Ärzte, bilde ich mir das nur ein mit dieser Demenz? Ich bin gottefroh um die paar Menschen, die wirklich Bescheid wissen (denkt nach). Ja, ich muss scho no öppe verzelle, wie wir das erleben. Viele Leute hören das Wort Demenz und verbinden es gleich mit einem Menschen in der Endphase – schwer pflegebedürftig.

Was sagen Sie anderen Menschen, welche die Diagnose Demenz erhalten?
Franz Inauen:
Ich erteile keine Ratschläge, weil ich sie selbst nicht ertrage. Was für uns gilt: Wir stehen immer dazu, wie es uns geht und sind ehrlich. Da war ich wahrscheinlich oft ungeschminkt. Zum Glück lässt dies mein Umfeld zu. Aber auch meine Frau und unsere Kinder stossen an Grenzen. Eine Empfehlung ist vielleicht dies: Einige Wochen nach der Diagnose hat mir Bernadette ein Buch geschenkt und mich eingeladen, darin meine Gedanken aufzuschreiben und zu zeichnen. Das mache ich seither und es tut mir gut.
Bernadette Inauen: Mir ist es wichtig, weiterhin unseren Familienalltag so normal wie möglich zu gestalten. Wir feiern das Leben miteinander, und die Welt geht nicht zu Ende. Wir messen unserem Denken sehr viel Bedeutung zu. Aber es ist nur ein Teil von uns. Und ich glaube daran, dass das innerste Wesen eines Menschen durch eine solche Krankheit nicht zerstört wird.

Haben Sie Wünsche und Erwartungen an die Gesellschaft?
Franz Inauen: Dass die Leute sich sagen lassen, wie es einem geht, es einem gopfertori auch glauben und nicht mit Ratschlägen abtun wollen. «Ja weisch, ich vergesse auch immer so viel», sagt man doch leicht. Man muss sich einfühlsam auf Menschen mit Demenz einlassen. Ich kann doch auch nicht erklären, weshalb es nun so tut mit mir, aber es tut so. Es kann deshalb schwierig werden, wenn man Menschen mit Demenz widerspricht.
Bernadette Inauen: Hinhören, aufeinander zugehen: Das ist wichtig, nicht nur beim Thema Demenz, und wird doch in unserer Gesellschaft oft nicht gemacht. Aufklärung ist wichtig; ich schätze deshalb zum Beispiel die Tätigkeit der Alzheimervereinigung sehr. Und was das Wohnen betrifft, frage ich mich: Gibt es nichts an- deres als «Endstation Pflegeheim»? Das ist ein dringendes Thema.
Franz Inauen: Ich stelle fest, dass viele Leute erschrecken, wenn sie unmittelbar mit dem Thema Demenz in Berührung zu kommen. Die meisten sind fast nicht informiert, ich war es ja auch nicht. Es ist schwierig, als Dementer in dieser Gesellschaft zu leben. Meine Motivation ist, zur Bewusstseinsbildung beizutragen, solange ich das kann.

Sie sprechen unter sich und mit anderen Menschen offen über das Thema.
Franz Inauen: Ja. Ich mag nichts überspielen.
Bernadette Inauen: Wir muten den Leuten damit auch etwas zu. Es gibt solche, die mir deswegen aus dem Weg gehen. Sie wollen es gar nicht hören. Wie wenn Demenz ansteckend wäre. Aber ich habe in der Zwischenzeit noch besser gelernt, die vielen kleinen Zeichen positiver Zuwendung wahrzunehmen und zu schätzen. Und ich weiss zum Glück um das gute Netz von Menschen um mich, auf die ich mich verlassen kann.

Interview: Dominik Thali und Markus Kopp

*Franz, 64, und Bernadette Inauen, 60, leben in Luzern, die beiden haben drei erwachsene Kinder. Franz Inauen war bis Ende Oktober als Seelsorger im Blindenheim Horw tätig. Er arbeitete vor Jahren mit Pfarrer Alois Stammler in St. Martin, Thun. Im Frühjahr 2013 wurde er mit der Diagnose Demenz konfrontiert.

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