Altersheim im Bau

Nigerianische Überraschungen

Die Interlakner Kinderärztin Helen Hochreutener erkundete Nigeria. Lesen Sie hier ihren Reisebericht und besuchen Sie den «Nigerianischen Abend» am 14. März.

Zwei Schweizer entdecken Nigeria mit dem einheimischen Pfarrer Ignaz Okoli. Ein Reisebericht über den kulturellen Austausch von Dr. Helen Hochreutener

Ein hochgebildeter und hochbegabter Afrikaner aus Nigeria, Pfr. Ignaz Okoli, lädt uns ein, zusammen mit ihm seine Heimat zu entdecken. Nach einiger Überlegung nehmen WIR, Adolf Schmitter und ich, das Angebot an und wir bereiten uns auf die aussergewöhnliche Reise vor: Nigeria ist kein eigentliches Touristenland. Das merken wir schon, als wir das Visum beantragen und nach langem Palaver auf der Botschaft, den erwünschten Stempel erhalten.

Der Botschafter führt uns nämlich gleich selbst ein in einige Gewohnheiten der nigerianischen Kultur: er erwähnt die starken Beziehungen in der Grossfamilie, die patriarchalische Kultur und ist erfreut, dass wir eine vertrauenswürdige nigerianische Begleitung haben, die das Eintauchen in die nigerianische Gesellschaft stark vereinfachen würde.

Und dann geht es los…alle Impfungen sind gemacht, die Einreisepapiere sind vollständig, die Erwartungshaltung ist gross, als wir in das Flugzeug steigen, das uns nach Äthiopien und dann nach Enugu in Nigeria bringen sollte. Unsere Reise sollte abenteuerlich werden.

Schon bei der Ankunft in Enugu sind wir die einzigen Europäer und werden dementsprechend im Gedränge immer wieder bestaunt und angelächelt. Dann finden wir unseren freundlichen Kontaktmann. Pfr. Ignaz Okoli hatte alles bestens organisiert. Wir werden bereits zu Beginn in einem palast-ähnlichen «Compound» willkommen geheissen und es wird uns ein köstliches nigerianisches Mahl serviert.

Wir sollten die fremden, kulinarischen Genüsse noch weiter kennenlernen. Olala! Pfr. Ignaz Okoli verspeiste dies alles genüsslich, besonders die erdig schmeckende Original Spezialität «Swallow and Soup». Und wir machten es ihm mehr oder weniger nach.

Wir lernen in den folgenden Tagen die sozialen Strukturen kennen: die Familienbande sind eng und warm. Wir wurden wie selbstverständlich in die Grossfamilie aufgenommen und auch wie «Royals» behandelt. Das war sicher auch das Verdienst unseres Pfarrers, der überall freudig empfangen und eingeladen wurde. Wir lernten so verschiedene «Compounds» auf dem Land und in der Stadt kennen mit grossen Salons, Empfangshallen, Essräumen, Schlafzimmern mit WC und Bad und Küche.

Einmal wurden wir mit einem Willkommensritual geehrte, die das Reichen der Cola Nuss beinhaltet. Dazu segnet der Älteste, das Familienoberhaupt oder der Häuptling (Chieftain) das Kommen und Gehen der Gäste und reicht die Cola Nuss herum, eine eher bittere, jedoch sehr gesunde Nuss resp. Frucht.

Allerdings war das Ritual nur für Männer gedacht, Frauen waren ausgeschlossen. Da zeigte sich die patriarchalische Struktur, die die nigerianische Kultur und Gesellschaft durchdringt. Ich durfte aber ausnahmsweise im Kreis der Männer mitsitzen und so teilnehmen. Wir erhielten einen lokalen Namen: «ozo igbo ndu» (Igbo Sprache für «die die Menschen heilt») und «nwanne di na mba» (Igbo: «Bruder in Diaspora»). Ich war gerührt ob dieser speziellen Würdigung.

Ich war froh darüber, dass die Lingua franca in Nigeria englisch ist, das auch für alle Kinder in der Schule Unterrichtssprache ist. So hatten wir nirgends Verständigungsschwierigkeiten.

Zu unserer Überraschung sahen wir, dass für das grosses Fest des 20jährigen Ordensjubiläum von Stella Okoli, der Schwester unseres Pfarrers und dem Todesgedächtnis von deren Familienoberhaupt, der ganze «Compound» festlich dekoriert wurde und im Sinne eines Catering-Party-Service Frauen engagiert wurden, die das Mahl zubereiteten. Das Mahl wurde auf mehreren offenen Feuern mit grossen Kesseln gebraten, gekocht oder grilliert.

Afrika pur! Ansonsten bereiteten jeweils die Frauen in der Küche auf dem Gasherd die verschiedenen Gerichte: Maniok, Yam, Reis, Süsskartoffeln, Plantanen, Fleisch mit verschiedenen fremdartigen Saucen, alles Original nigerianische Spezialitäten eben, African Food pur. Olala! Dazu wurde Schaum- oder Palmwein, Wein, Bier oder Wasser gereicht.

In den ersten Tagen konnten wir wegen der Festlichkeiten zum Neuen Jahr und den Jubiläen verschiedene Gottesdienste besuchen. Diese Eucharistiefeiern waren jeweils je nach Anlass farbenfroh gestaltet, festlich mit Gospel- und Spiritualchor inklusive Trommeln. Beim Offertorium zur Gabenbereitung kamen die Grossfamilien mit ihren Naturalien inklusive Ziegenbock, Ziegen, Schafen, Hühnern, Maniok, etc. unter Gesang und Tanz in einer Prozession singend und tanzend zum Altarraum und übergaben den Priestern ihre Gaben.

Ein Fest! Speziell eindrucksvoll war die Architektur der Kathedrale von Awka, Anambra State. Von aussen präsentierte sich die Kathedrale als Arche. Im Inneren dann hatte man den Eindruck in das Licht des Himmlischen Jerusalem einzutreten mit einem ovalen Innenraum und doppelreihigen Arkaden und hoher Decke den rundum vertikal strukturierten Fenstern, die das Licht optimal und strahlend in den Innenraum einliessen. Diese Architektur und die lebendige Musik weckten in mir das Empfinden, einer speziell- eigenen afrikanischen Spiritualität zu begegnen, die es sonst nirgends auf der Welt gibt. Und mir wurde froh ums Herz …

An einem Tag offerierte ich als Kinderärztin im Dorf Ezira medizinische Grundversorgung für Kinder und Jugendliche («Basic Community Health Care»). Dazu hatte ich mich vorgängig damit befasst, was denn die gesundheitlichen Hauptprobleme in Nigeria sind. Entsprechend hatte ich Medikamente und Kindernährmittel mitgebracht. Zu meiner Überraschung kamen um die 80 Kinder, um sich medizinisch betreuen zu lassen. Adolf Schmitter führte die Patientendossiers mit Patientendaten, Diagnose und Therapie.

Auch Sr. Stella Okoli assistierte bei der Erhebung der Anamnese und beim Erklären der Diagnose und der Behandlung. Die Kinder litten an Malaria, Reizbronchitis, Bronchialasthma, Hautinfektionen, Fehlernährung, Durchfall etc. Ein 19 Monate altes Kind war seit Geburt geistig behindert. Die Mutter wollte sofort wissen, ob ich auch sie selbst untersuchen könne. Sie war gesund. Die Mutter kann sich jedoch die empfohlene spezialisierte Physiotherapie für Zerebralgelähmte und heilpädagogische Förderung nicht leisten. Im Grossen und Ganzen freuten sich die Mütter und Familien über unseren medizinischen Einsatz.

Beim Besuch des Regina Coeli Medical Center der Awka Diocesis erfuhr ich, dass tatsächlich, wie ich im Voraus recherchiert hatte, Malaria, Tuberkulose, Lepra, Schistosomiasis, Lungenentzündungen und Durchfall häufig vorkommen, dass in Nigeria die Kindersterblichkeit in Afrika die höchste ist. Es bleibt also viel zu tun! Mit relativ wenig kann man viel erreichen!

Um mit Menschen in Kontakt zu kommen, die über die soziale und politische Lage in Nigeria gut informiert sind, habe ich angeboten, einen Vortrag zum Thema «The Human Development» zu halten. Im Tansi International College in Awka sowie im St. Anthony’s Catholic Comprehensive Institute in Agulu konnte ich vor ca. 1800 Gymnasiasten und deren Lehrern die Präsentation halten. Der kulturelle Austausch und die Geste der Kooperation wurden auf beiden Seiten mit Freude aufgenommen.

Uns hat es wie erwartet die Gelegenheit gegeben, auf hohem Niveau über die sozial-politischen Strukturen und Probleme zu diskutieren. Trotz bester Ausbildung sind viele Nigerianer arbeitslos (unempoyment) oder müssen an einer Stelle arbeiten, die in keiner Weise ihrer Ausbildung entspricht (underemployment). Hoch intelligente Jugendliche hoffen aber auf eine Zukunft im Wohlstand. Die meisten wissen, dass das wegen der auf allen Stufen gegenwärtigen Korruption in den nächsten Jahren eher nur im Ausland zu finden ist. So sind denn auch die USA, Australien, Grossbritannien und Europa die Sehnsuchtsorte.

Der Biafra-Krieg im Süden des Landes in den 1970er Jahren hat den Nigerianern gezeigt, dass sie keinen bewaffneten Aufstand oder Zivilkrieg mehr riskieren wollen, dass aber auch die Gegenwart mit der miserablen Infrastruktur (Miss-Management mit vernachlässigten Strassen, unzuverlässiger Stromversorgung etc.) trotz reichen Ressourcen wie Erdöl- oder Erzförderung kein akzeptabler Zustand ist.

So bleibt der geistigen Elite des Landes derzeit nur die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass mit einer exzellenten Ausbildung den Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, für sich selbst und hoffentlich in Zukunft auch für das Gemeinwohl zu sorgen. Die Priester und Ordensleute verfolgen genau dieses Ziel.

Pfr. Ignaz Okoli organisierte eine Audienz beim Diözesan-Bischof Paulinus Ezekafor von Awka. Wir gewinnen den Eindruck, dass er ein Bischof ist, der vor allem aufbaut: er baute eine neue Kathedrale (St. Patrick’s Cathedral of Awka, siehe oben) und Kirchen, Schulen (Kollegien, siehe oben), er baut aktuell ein Altersheim und er fördert die gute Ausbildung und den Zusammenhalt der Diözesan-Priester. Jedes Jahr kommen z.B. alle Diözesan-Priester im Januar aus aller Welt und aus Nigeria zusammen, um zurückzublicken, den Status quo zu diskutieren und die nächsten Schritte und Ziele gemeinsam zu formulieren.

Wir hatten die Gelegenheit, mit dem bischöflichen Auto zur Baustelle des «Old People’s Home» zu fahren, um den Fortschritt des Baus zu sehen und mit dem verantwortlichen Architekten und Bauingenieur zu sprechen. Dieses Altersheim wird nämlich auch von unserer Pfarrei Heiliggeist in Interlaken unterstützt. So konnten wir vor Ort zu sehen, wohin die gespendeten Gelder fliessen.

Die erwähnte vernachlässigte Infrastruktur in Nigeria führte auch dazu, dass das Autofahren sehr holprig ist. Gleich zweimal hatten wir eine Autopanne, die aber rasch behoben werden konnten. Unser Glück war, dass unsere Pannen (gerissener Keilriemen, Herunterfallen der Abdeckung) in einem bewohnten Gebiet erfolgten, sodass wir gleich einen Mechaniker in der Nähe ausfindig machen konnten. Die Autowerkstatt war zwar sehr dürftig ausgerüstet, für unsere Augen beinahe leer, die Mechaniker jedoch erledigten ihre Reparatur rasch und zuverlässig und wir konnten weiterfahren.

Unsere Reise nach Afrika war also eine Reise der anderen Art. Ich bin dankbar, dass Pfr. Ignaz Okoli uns diese Gelegenheit gegeben hat, sein Land kennenzulernen. Er fungierte als wahrer Brückenbauer, mit einem Wort: die Reise war unglaublich bereichernd.

Text und Fotos: Helen Hochreutener

 

Wer mehr erfahren möchte über die Nigeria-Reise, ist herzlich eingeladen zur Abendveranstaltung «Nigerianische Überraschungen».

Die Reiseteilnehmenden berichten, erzählen und zeigen Bilder und Fotos. Sie hören nigerianische Musik und können nigerianische Original-Spezialitäten verkosten (Nigerian bits, tastes and smells).

Zeit: Mittwoch, den 14. März, um 19.00
Ort: Beatushaus, Schlossstr. 4, 3800 Interlaken
Präsentation: Pfr. Dr. theol. Ignaz Okoli, Adolf Schmitter (IT-Spezialist) und Dr. med. Helen Hochreutener.

Kollekte zugunsten der zwei Colleges in Nigeria: St. Anthony’s Catholic Comprehensive Institute in Agulu und Tansi International College in Awka.

Anmeldung erforderlich. Alle weiteren Infos entnehmen Sie diesem Flyer

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