Einen Teil seiner Lebenszeit für eine gute Sache, für eine Person geben, enspricht dem Beispiel Jesu. Foto: Keystone, Fotografie Seckinger

Ostern ist...

.. wenn alle vor einem schwarzen Loch stehen. Und wenn es wieder hell wird, ist man im Tessin. Gedanken zum Osterfest von Manuel Simon

Von Manuel Simon, Theologe

Jedes Jahr klingen die Meldungen im Radio ähnlich: «10 Kilometer Stau vor dem Gotthard, drei Stunden Wartezeit.» Jedes Jahr rollt eine Blechlawine auf das schwarze Loch namens Gotthard zu, um darin nach stundenlanger Wartezeit zu verschwinden. Jedes Jahr spuckt ein schwarzes Loch Menschen aus der Dunkelheit ins Licht des frühlingshaft erwachenden Tessins. Es ist Ostern.

Mit einer gewissen Wehmut erlebe ich, dass an Ostern für viele Menschen nicht die Auferstehung Jesu im Mittelpunkt steht, ja, dass dieser Hintergrund immer mehr Menschen gar nicht bewusst zu sein scheint. So möchte ich sowohl der Frage nachgehen, welche Bedeutung Ostern in einer postmodernen Gesellschaft haben könnte, als auch versuchen, Zugangs- und Ausdrucksformen zum Osterfest zu hinterfragen.
Wie kann das Ostergeschehen auch für zukünftige Generationen bedeutsam bleiben oder für sie neu an Bedeutung gewinnen? Liegt die Herausforderung darin, ein vergangenes Ereignis als aktuell und persönlich existenziell zu erfahren? Damit dies gelingt, ist sicherlich nach neuen Formen und vielleicht auch nach ungewöhnlichen Zugängen zu suchen, die Menschen in pluralistischen Gesellschaften ansprechen.

Ostern als das Fest des Lebens

Ganz grundlegend kann Ostern als ein Lebensfest gefeiert werden, das trotz unserer irdischen Vergänglichkeit und Endlichkeit unser Dasein prägt. Fragen des sinnvollen und nachhaltigen Lebens könnten in dieser Vorstellung eine Rolle spielen und Menschen helfen, ihr Menschsein «menschlicher» zu gestalten.
So ist sicherlich zu hinterfragen, wo jenes Leben zu finden ist, welches wir am Ende unserer Tage gelebt haben wollen. Ich bezweifle, dass dies die Tage im Tessin oder an einem anderen Ort sind, sondern vielmehr die Zeiten und Momente, die auch über Jahrzehnte ihre Bedeutsamkeit bewahrt haben und die wir für unser Dasein als fundamental bezeichnen.

Ostern als das Fest der Standhaften und Ungebrochenen

Indem Ostern als ein Lebensfest gefeiert wird, gehören ohne Frage auch jene Seiten menschlicher Existenz dazu, die wir als Dilemmasituationen charakterisieren.

Momente also, in denen wir um Standhaftigkeit bemüht sind und um Lösungswege im Sinne eines besseren und menschlicheren Lebens ringen; Situationen, in denen wir ohne Rücksicht auf unser eigenes Ansehen für die Wahrheit einstehen, auch, wenn die persönlichen Konsequenzen unangenehm und wenig attraktiv sind. Hierin sehe ich einen jeden Christen in der Nachfolge Jesu, der für seine Botschaft bis in letzter Konsequenz eingestanden und hingestanden ist. Ich glaube, dass dieser Aspekt nach wie vor in seiner Tragweite und Bedeutsamkeit Anerkennung findet, ja, dass wir auf der Suche nach solch vorbildlichen Menschen sind.

Ostern als das Fest der eigenen Glaubwürdigkeit und Authentizität

Und deshalb ist Ostern für mich mit der eigenen Glaubwürdigkeit und Authentizität in Verbindung zu bringen. Dass ich zu dem stehen kann, was ich gesagt und getan habe. Der Auferstehungsglaube an sich ist eine unglaubliche Herausforderung für uns Menschen, er widerspricht all unseren Erfahrungen und dennoch wird er seit Generationen bezeugt. Ich stelle mir vor, dass Jesu Verkündigung echt und glaubwürdig gewesen sein muss, so dass Jüngerinnen und Jünger auch die Auferstehung als glaubwürdige Konsequenz aus Jesu Handeln annehmen konnten. Insofern will ich an Ostern mein eigenes Reden und Handeln in den Blick nehmen und auf Glaubwürdigkeit und Authentizitat hin untersuchen. Wie oft stimmt mein Reden nicht mit dem Handeln überein und wie wirkt dies auf mein persönliches Umfeld?

Ostern als Fest der Selbstlosigkeit

Ostern ist für mich ebenso mit Selbstlosigkeit verbunden, wenn Jesus von Nazareth sein eigenes Leben hinter die Botschaft der Liebe Gottes zu den Menschen stellt. Dies scheint mir gerade in heutiger Zeit ein bedenkenswerter Aspekt eines gegenwartsbezogenen Osterverständnisses zu sein, weil es mich und die Menschen unserer Zeit ganz direkt und persönlich anspricht.

Ist es denn nicht so, dass heutzutage das Ego jedes Einzelnen im Vordergrund stehen, ja, im Vordergrund stehen muss, wenn beruflicher Erfolg und Anerkennung erreicht werden wollen? Engagiere ich mich hin und wieder, ohne selbst daraus einen Profit zu schlagen? Einen Teil seiner Lebenszeit für eine gute Sache, für eine Person zu geben, würde dem Beispiel Jesu entsprechen, dessen Dasein in erster Linie als eine «Pro-Existenz» verstanden werden kann, als ein «für andere da Sein.»

Ostern ist…

…vor allem ein mehrdimensionales Geschehen und nicht in einer Definition allgemein gültig und für alle Zeit festzulegen. Insofern sehe ich die Art und Weise eher kritisch, wie wir heute in liturgischen Feiern Ostern begehen: In ellenlangen, mitunter textlastigen Feiern wird von Gründonnerstag bis Ostern ein Bogen gespannt. Kann es überhaupt gelingen, dass bei diesem mehrtägigen Geschehen die Spannung nicht verloren geht? Oder sind diese sonderlichen Feierlichkeiten mit Kreuzverehrung und Allerheiligenlitanei nur noch fur die «Superchristen» nachvollziehbar?
Mir ist es wichtig, Ostern als ein stets gegenwärtiges Ereignis zu feiern, das mit mir und meinem Leben etwas zu tun hat. Um wieder neu einen Zugang zu Ostern zu finden, ist es vielleicht sogar hilfreich, von den bisherigen Vorstellungen und Traditionen ein wenig wegzugehen, sozusagen gedanklich «auf Reisen zu gehen». Dann wird der Blick weit und das Denken über das Leben angeregt. So sind die Menschenströme vor dem Gotthard vielleicht eine Anregung, selbst eine Reise zu tun – hin zu einem ganz persönlichen Ostererleben.

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