Nachdenklich. Co-Dekanatsleiter Bernhard Waldmüller

Pfarreien ohne Priester schliessen

Pfarreien ohne Priester schliessen Der neue päpstliche Nuntius der Schweiz, Erzbischof Thomas Gullikson, wiederholte in einem Interview mit dem «Tagesanzeiger» vom 16. Dezember seine Idee, die er bereits in einem Tweet veröffentlichte: Pfarreien ohne Priester sollten einfach geschlossen werden.


Wir konfrontierten den Leiter der röm.-kath. Pastoral der Region Bern, Diakon Bernhard Waldmüller, mit dieser erstaunlichen Aussage eines vatikanischen Diplomaten.

«pfarrblatt»: Jede Pfarrei abschaffen, die keinen Priester hat – was halten Sie von dieser Idee?

Bernhard Waldmüller: So verkürzt: wenig bis nichts. Fairerweise muss man aber sagen, dass Nuntius Gullickson damit auf eine weltkirchliche Realität hinweist, die in der Schweiz oft nicht zur Kenntnis genommen wird. So legte z.B. das Bistum Essen schon 2005 die 259 Pfarreien des Bistums zu 43 Grosspfarreien zusammen, d.h. über 200 bis dahin eigenständige Pfarreien «verschwanden» und fast 100 Kirchengebäude wurden aufgegeben.
Das Bistum Basel geht mit seinem «Pastoralen Entwicklungsplan» (PEP) einen anderen Weg: Trotz klaren Vorgaben des Bistums werden die Verantwortlichen vor Ort einbezogen. Das ginge auch gar nicht anders. Die Autonomie der Kirchgemeinden verhindert solche Radikalkuren. Ich finde das richtig. Sonst besteht die Gefahr, viele Gläubige, die sich oft jahrelang für das Evangelium eingesetzt haben, vor den Kopf zu stossen.

Der Nuntius gibt nun all den Kritikern der neuen Pastoralräume recht, die sagten, Pastoralräume dienen nicht einer neuen Seelsorge für Menschen, sondern reagieren einzig auf den Priestermangel.

Das stimmt so sicher nicht. Der Priestermangel, oder besser der absehbare Mangel an theologisch gut ausgebildetem Personal, ist ein Grund für die Pastoralräume. Ein anderer ist der gesellschaftliche Wandel. Als Kirche wollen wir den Menschen nahe sein. Aber «Nähe» müssen wir auf vielen Wegen suchen. Das können Pfarreien alleine nicht mehr leisten.

Der Nuntius sagt, die Kirche gründe sich auf den Sakramenten. Diese können gültig nur Priester spenden. Ist also das «PEP»-Seelsorgekonzept, das u.a. die Menschen an der Basis in die Pflicht nimmt, Makulatur?

So verkürzt ist das falsch. Das II. Vatikanische Konzil sagt, dass die Kirche sich selbst als Sakrament versteht und die sakramentalen Vollzüge zentral sind. Aber Kirche ist doch viel umfassender Sakrament als nur in der Messe am Sonntagmorgen! Eine lebendige Gemeinde braucht die Eucharistie, aber sie ist nicht lebendig, wenn in ihr nicht auch das Evangelium verkündet wird, Menschen geholfen wird und sich Gläubige als Gemeinschaft verstehen.

Ein Nuntius ist ja auch Diplomat. Der vatikanische Diplomat Gullickson scheint sich noch nicht mit der schweizerischen Realitäten auseinandergesetzt zu haben ...

Nuntius Gullickson ist sehr neu in der Schweiz und unsere kirchlichen Verhältnisse sind sehr komplex. Wahrscheinlich könnten auch viele Berner KatholikInnen nicht genau erklären, wie in der Kirche Region Bern die Verantwortlichkeiten verteilt sind. Ich plädiere dafür, ihn einzuladen, um mit ihm ins Gespräch zu kommen, ihm unsere Perspektive anzubieten.

Erwarten Sie eine Reaktion des Bistums auf diese Aussagen? Immerhin ist das Bistum Basel eines der fortschrittlichsten der Weltkirche. Hier arbeiten ja gar Frauen als Gemeindeleiterinnen.

Ich gehe davon aus, dass Bischof Felix mit dem Nuntius im Gespräch ist. Das Bistum Basel wird kaum einen so wichtigen Prozess wie den «PEP» wegen eines einzigen Interviews in Frage stellen.

Interview: Jürg Meienberg


Interview im Tagesanzeiger vom 16. Dezember 2015

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