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Platz zum Verschwenden!

Spitalseelsorge ungeachtet von Tarifsystem und Diagnoseliste

Dieses Jahr hat sich der im «pfarrblatt» für Gedanken aus dem Inselspital reservierte Raum verdoppelt. Nun können sich meine Worte und Sätze auf einmal strecken und dehnen, statt wie vorher sparsam zurechtgestutzt zu werden. Das fühlt sich ungewohnt grosszügig und nobel an, fast wie ein Einzelzimmer im Spital. Apropos: Im Bettenhochhaus des Inselspitals gibt es pro Stockwerk nur zwei Einzelzimmer, dafür vier Sechser- und eine grosse Anzahl Zweierzimmer. Die gegen Sonnenaufgang gelegenen Einzelzimmer kosten ihren Preis. Das Upgrade vom Zweier- zum Einzelzimmer kostet rund Fr. 100.–, vom Sechser- zum Einzelzimmer Fr. 300.– pro Nacht. Zweifellos kann es überaus wohltuend sein, eine private Nische zur Erholung zu haben. Ich verstehe jede Abneigung gegen Schnarch- und andere Geräusche. Doch gleichzeitig wundere ich mich, dass es überhaupt so etwas wie Klassen gibt.

Auch in der Eisenbahn scheint es mir absurd, dass manche bereit sind, für die gleiche Reise doppelt so viel zu bezahlen, nur um sich in angenehm weiche Sitze fallen zu lassen. Im Gesundheitswesen geht das Klassensystem sogar noch weiter: Wer mehr bezahlt, kann sich eine Behandlung durch erfahrenere Ärzte sichern. Man kann sich vieles kaufen: Komfort, Kompetenz, Auswahl, Qualität. Doch haben die Patienten in den Mehrbettzimmern Leistungen inklusive, die unbezahlbar sind, wie Solidarität, gegenseitige Unterstützung, Zusammengehörigkeitsgefühl und Galgenhumor. Nicht selten trägt eine heitere Stimmung im Sechserzimmer Einzelne durch seelische Krisen. Patienten, welche mit Handreichungen anderen einen Dienst erweisen, werden in ihrem eigenen Gesundheitsgefühl gestärkt. Nicht alles kann mit Geld erworben werden. Einiges passiert einfach, fällt einem zu, im Mehrbettzimmer vielleicht eher als isoliert im stillen Kämmerlein. Gerade zufällige Begegnungen sind so kostbar wie unbezahlbar.

Auch die Seelsorge im Spital ist kostenlos, für die Patient*innen jedenfalls. Sie ist weder durch ein Tarifsystem noch durch eine Diagnoseliste eingegrenzt und steht allen offen, unabhängig von Religion, Status und Versicherungsmodell. Wir Seelsorgenden haben das seltene Privileg, mit Zeit und Aufmerksamkeit nicht knausern zu müssen, sondern sie grosszügig mit jenen teilen zu können, denen sie gerade zufällt. Welch wertvolle Verschwendung!

Marianne Kramer, ref. Seelsorgerin

Die Gedanken aus der Spitalseelsorge im Überblick

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