Romanische Ruine an der ligurischen Küste (zwischen Levanto und Monterosso). Foto: Patrik Böhler.

Räume der Nachdenklichkeit

Welche Aufgabe kann der konfessionelle Religionsunterricht heute noch ausüben? Und auf was soll er sich stützen?

Wir leben in einer pluralen Welt. Jede und jeder hat eine andere Meinung. Das Zusammenleben ist vielfältig und divers. Der Alltag ist noch ein Wisch in der Hektik der Zeit. Unser Handeln ist auf Verwertbarkeit ausgerichtet. Soziologen sprechen von der flüchtigen Moderne. Hat das auch Einfluss auf den Religionsunterricht?

Die Vielfalt hat auch im kirchlichen Raum Einzug gehalten. Einige sind noch bei der Kirche, viele stehen in einer losen Beziehung oder sind gar ausgetreten. Der eine glaubt, der andere auch – aber anders. Menschen aus verschiedenen Religionen verstehen einander, die Menschen aus der gleichen Religion oder Konfession verstehen einander vielleicht nicht mehr. Sie tragen rein von der Sozialisation unterschiedliche Glaubensbekenntnisse und -ausrichtungen in sich. Geprägt sind die Bilder der Religion durch die Populärkultur, also durch Film, Musik, Games, Internet und andere neue Medien.

Unser Glaube lehrt uns, dass jeder Mensch Ebenbild Gottes ist und dass alle Grenzen von Geschlecht, Kultur, Rasse, Herkunft aufgehoben sind. Mehr noch, dass in der Unterschiedlichkeit und Vielfalt, die Grenzenlosigkeit Gottes spürbar und erlebbar wird. So gesehen erhält Vielfalt sakramentalen, heiligenden Charakter. Gott wird darin sichtbar.

Wenn Menschen immer unterschiedlicher werden, muss auch der Religionsunterricht – letztlich das gesamte Handeln der Kirche – vielgestaltiger werden. Sonst wird nur noch ein ganz kleiner Personenkreis angesprochen.

Wer Vielfalt will, wird nicht darumherum kommen, viele zu beteiligen, und zwar mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten und Persönlichkeiten. Unterschiedliche Menschen bringen unter schiedliche Lebenserfahrungen, Fähigkeiten, Ressourcen ein und bereichern so das Ganze. Dafür braucht es spezifische berufliche Kompetenzen, aber auch eine Grundhaltung – und die ist wohl entscheidend. Es geht darum, den anderen in seiner Andersheit und auch Fremdheit positiv, wertschätzend zu begegnen und ihm oder ihr etwas zuzutrauen. Dem dient eine Befähigungs- und Ermöglichungspastoral, die Vielfalt ausdrücklich willkommen heisst. Von allen Beteiligten erfordert dies die Fähigkeit, Unterschiede und Spannungen auszuhalten und von den Verantwortlichen ein Umdenken im Rollenverständnis: Sie sind nicht Alleinverantwortliche, schon gar nicht Allein-Entscheider.
Primär sind sie Netzwerker und Kommunikatoren. Ihre Aufgabe ist es Brücken zu bauen und andere zu befähigen, an ihrem jeweiligen Ort ihr jeweiliges Charisma zu entwickeln und einzubringen.

In einer pluralen Gesellschaft braucht es auch für den Glauben plurale Identifikationsmöglichkeiten, weil selbst der persönliche Glaube immer individueller wird. Genau hier setzt der aktuelle Religionsunterricht an: Er achtet auf ein Arbeiten, Denken, Theologisieren mit dem Kind, vom Kind und für das Kind. Das Kind wird in seinem Anderssein ernst genommen und es erhält die Möglichkeit sich entsprechend einzubringen. Sein Beitrag stärkt den Beitrag anderer und umgekehrt. Wichtig ist, dass das Kind eine Sprache findet, über die wichtigen Fragen des Lebens mit Gott nachzudenken.

Der konfessionelle Religionsunterricht hat die Chance und die Aufgabe, eine Kultur der Nachdenklichkeit zu entwickeln und Räume der Nachdenklichkeit anzubieten.

Beat Zosso und Patrik Böhler

Literatur: Eine Bearbeitung des Artikels von Bernd Lutz, «Diversity management» – Vielfalt aus christlicher Motivation wertschätzen, in: «unterwegs», Nr. 2/2016, dkv München

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